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Nach der Revolution ist vor der Ehe

Die Rolle der Katniss Everdeen aus den Hunger-Games-Filmen wurde von Feministinnen weltweit als starke Frauenfigur gelobt. Sie hätten den vierten und letzten Teil abwarten sollen.

3. Dezember 2015

Sie das Aushängeschild einer Revolution. Sie kämpft an der Seite der kleinen Leute bis das autoritäre Regime untergeht und eine schwarze Frau in freien Wahlen zur Präsidentin erkoren wird. Die Figur der Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence) ist eine überraschend positive, denkt man sich. Besonders für einen Film, der sich primär an pubertierende Mädchen richtet. Everdeen kämpft nicht halbnackt wie Lara Croft und ihr Charakter ist hochkomplex, verglichen mit dem dumpfen Mädchen aus der Twilight-Reihe, deren Leben durch die Liebe zu einem Vampir völlig fremdbestimmt ist. Aber die Sache ist perfider: Nur weil sich die Geschlechterstereotype hier hinter bogenschiessenden, Militärstiefel tragenden Frauen verbergen, sind sie nicht weniger fatal.

Zwang der Ehe

Aber worum geht es in den Hunger Games? Der korrupte Diktator Snow (Donald Sutherland) beutet die Menschen in Panem schamlos aus – um politische Unruhen zu vermeiden, kompensiert er das öde Leben unter seiner Herrschaft mit zahlreichen Medienspektakeln. Das funktioniert – bis eines Tages die aufmüpfige Katniss Everdeen eines der Gladiatorenspiele (Hunger Games) überlebt und der Bevölkerung Hoffnung auf eine andere Zukunft gibt. Sie wird zum Aushängeschild einer Bewegung, die sich dann während drei langer Filme ihre Freiheit erkämpft. Everdeen ist eine Heldin. Obschon ihr als solche Ruhm und Ehre zustehen, endet der Film auf einer Blumenwiese, etwa fünf Jahre nach der Revolution. Everdeen ist mittlerweile zweifache Mutter und hat die kugelsichere Weste mit einem lieblichen Blumenkleid eingetauscht. Die Filmreihe gibt seinen jungen Zuschauerinnen also zu verstehen: Du kannst alles sein, was du willst. Sogar eine Heldin. Aber das wahre Glück ist das häusliche. Du kannst dich allen Zwängen widersetzen, wie Everdeen, die unberechenbar ist und sich von keinem Regime instrumentalisieren lässt – aber dem erlösenden Zwang der Ehe kannst du nicht entkommen.

Keine Abenteuer wie Bond

Katniss Everdeen ist also gleichzeitig das Aushängeschild einer politischen Revolution und eines bürgerlichen Ideals. Sie ist konservativ und damit trifft sie den Nerv unserer Zeit. Es ist wieder hipp, sich jung zu verloben. Eine wunderschöne Braut zu sein, der Traum vieler junger Frauen. In dieser komplexen Welt mit ihren zahllosen Möglichkeiten ist das eheliche Idyll ein verführerischer Gedanke. Sogar unsere Heldin Everdeen fällt darauf rein. Für sie endet das Abenteuer dort, wo es für männliche Leinwandfiguren wie James Bond erst beginnt. Während sich Bond am Schluss mit irgendeiner Schönheit an einen exotischen Ort absetzen darf, muss Everdeen im Reihenhaus bleiben. Warum? Kein Regisseur würde Bond (Daniel Craig) mit seiner Madeline Swan (Léa Seydoux) und ihren Kindern in der Bretagne beim Picknick zeigen. Die Zuschauerinnen und Zuschauer würden Bond auch nicht in der Mitte des Filmes in Tränen ausbrechen sehen wollen, weil er die Leben seiner Liebsten gefährdet, wie dies Everdeen tut. Und ein Drehbuchschreiber würde seinen Protagonisten auch nicht die Revolution verpennen lassen, weil er ohnmächtig auf der Strasse liegt (wie Everdeen), denn Passivität ist kein männliches Attribut.

Böse Frauen sind nicht die Lösung

An dieser Stelle könnte man einwenden, dass es in den Hunger-Games sehr wohl eine Frau gibt, die kaum typisch weibliche Attribute trägt: Die politische Anführerin der Rebellen, Präsidentin Coin, gespielt von Julianne Moore. Sie ist böse, unmoralisch und machtgeil. Nach der Revolution erklärt sie sich zur alleinigen Machthaberin und verschiebt Neuwahlen in eine unbestimmte Zukunft. Da wird sie von der korrekten Katniss getötet. Aber diese Umkehrung der Geschlechterstereotype löst das Problem nicht, es vertieft nur die binäre Struktur, die unser Denken geisselt: Mann – Frau, gut – böse, christlich – teuflisch. Das ist doch langweilig. Was Hollywood braucht, sind spannende, überraschende Figuren, clevere Scripts, schockierende Wendungen. Wir brauchen Heldinnen und Helden, die sich nicht über ihr Geschlecht definieren lassen, sondern über ihr Talent, ihre Rhetorik, ihre Mimik, ihre Ideen, ihr Genie. Tiefschichtige Menschen, kein braves Fräulein mit Pfeil und Bogen, das nach der Revolution wieder seinen Platz hinter dem Herd findet. Jungen Mädchen darf nicht suggeriert werden, dass das Glück zwingend dort zu finden ist. Denn meist ist das Glück dort, wo das Abenteuer beginnt – nicht dort, wo es endet.

The Hunger Games: Mockingjay – Part 2 (2015): 137 Minuten. Seit dem 19. November in allen grossen Kinos.

Regie: Francis Lawrence, mit: Jennifer Lawrence, Josh Hutcherson, Liam Hemsworth, Julianne Moore, Donald Sutherland, Philip Seymour-Hoffman