Editorial #4/15
Nationalfrauschaft — «Wo kommen wir denn hin, wenn es keine Frauen und Männer mehr gibt? Totaler Genderwahn!» So polterten wir beim Mittagessen in der Mensa und ernteten kritische Blicke vom Nebentisch. Das Thema der Ausgabe ist «Gender» – daher übte sich die Redaktion in den Argumenten derer, die sich die Sache etwas zu einfach machen.
Es ist keine Kunst, legitime Forderungen wie die nach einer «Nationalfrauschaft» ins Absurde zu drehen und sich über zu euphorische Konstruktionen wie «Coiffeusin» lustig zu machen. Oder spöttisch zu fragen, ob der Filmklassiker dann nicht «Das mit dem Wolf tanzt» heissen müsste. Während sich die einen über postmoderne Verrenkungen mokieren, nehmen die anderen den groben Stammtisch-Onkel hoch, der noch nie von «Gender» gehört hat. So kommen wir nicht weiter. Es braucht andere Sichtweisen, wie beispielsweise die des Geschlechterspezialisten David Garcia oder des Transform-Menschen Anestis (ab S. 14).
Das Thema ist auch als Reaktion auf unser letztes Cover zu verstehen: Es zeigte eine Frau im Bikini. Wir haben selten so viele Rückmeldungen auf ein Titelblatt erhalten. Und tatsächlich: Die Nacktheit unseres Cover-Models war etwas am Ziel vorbeigeschossen. Auch in dieser Ausgabe werden Körper ohne Kleider abgebildet – nur dieses Mal mit einer genau ins Visier genommen Botschaft: Über Geschlecht lässt sich nicht nur intellektuell grübeln, es manifestiert sich täglich an unser aller Körper.
Nina Kunz, Redaktionsleiterin