Anna Dettwiler

Lichtblicke: Hogwartzh

Der Lichthof ist eine Fundgrube für die absurdesten Gespräche. Doch was, wenn wir nicht an der Universität Zürich, sondern in Hogwarts wären?

24. März 2015

Es war ein kalter, windiger, regnerischer und auch sonst ganz Schweizerischer Tag im Schweizerischen Zürich, und während ich mich die Treppen in den ersten Stock des Deutschen Seminars hoch schleppte, die Tasche zu schwer, doch das Gemüt noch schwerer, dachte ich mir: was wenn?

Was, wenn ich die Lehre als Krankenpflegerin doch angetreten hätte, anstatt mich heimlich an die Aufnahmeprüfung fürs Gymnasium zu schleichen? Was, wenn ich doch schon mit zwölf den Literaturnobelpreis gewonnen oder mit vierzehn in einem Woody Allen Film mitgespielt hätte? So schlurfte ich die dreckverschmierten Linoleum-Böden des ungeheizten Gebäudes entlang, und fühlte mich wie der wolkenverhangene Himmel vor den beschlagenen Fenstern, wie eine Verurteilte auf dem Weg zu ihrer gerechten Strafe. Urteil: Linguistikvorlesung bei Prof. Dr. Elvira Glaser, Thema: unbekannt und mir egal.

Mit einem langen Gesicht quetschte ich mich die Bankreihen entlang, das Ziel: ein Platz möglichst weit weg von der Realität. Hass staute sich in mir auf, als ich mich auf den Klappstuhl des Grauens niederliess, Hass auf diesen hellen Raum, in dem das konstante Summen des Beamers wie tausend kleine Hämmerchen, die auf meinen regennassen Haarschopf eindreschen, klang, Hass auf das kichernde Mädchen in der Reihe vor mir, die gerade eben erfahren hatte, dass ihre Kommilitonin, wäre sie in Harry Potter, auch am liebsten nach Gryffindor gekommen wäre.

Nein, wirklich, dachte ich bei mir, das ist ja erstaunlich, niemand will nach Gryffindor. Es gibt ja noch Ravenclaw, nicht wahr, für die Streber, und Hufflepuff für die Loser und Nebendarsteller, und Slytherin für die Bösen (aber doch nicht nur ganz Bösen), da will doch jeder dazugehören, zu den Clubs der Verlierer und Hinterwäldler und nasenlosen glatzköpfigen sehnenübersäten bleichen Ebenbildern des Todes. Noch mehr Hass staute sich in mir auf, während ich die Götter unserer sowie der Zaubererwelt anrief, diese Person doch bitte in jedem erdenklichen Paralleluniversum einfach überall hin nur nicht nach Gryffindor zu schicken, und als sie sagte, am sexygsten fände sie ja Snape, dem würde sie gerne mal die Haare waschen, glaubte ich, zu platzen, und hätte ihr am liebsten die ihrigen vom Kopf gerissen. So verbrachte ich also die letzten Minuten vor Beginn der Abendmahl-Vorlesung damit, den Raum, den Beamer und das Muggel-Mädchen nach allen Regeln der schwarzen Magie zu verfluchen, doch dann, ganz unerhofft, stand nicht die griesgrämige Professor McGonagall, und auch nicht der fetthaarige Professor Snape, nein, Frau Professor Glaser stand vorne am Pult und begann zu sprechen, was auch immer, ich weiss es nicht mehr, aber was es auch war, es war besser als die Vorstellung daran, nicht genau jetzt an genau diesem Ort zu sein.

Flavia Bonanomi studiert Deutsch, Englisch und Film an der Uni Zürich. Regelmässig wird sie Zeugin abstruser Konversationen von Kommilitoninnen und Kommilitonen im Lichthof. Die besten gibt sie monatlich an die ZS weiter.