Randfigur als grosses Highlight: Christian Beppo Peters als Leonato. Alex Spichale

Spritziger Shakespeare in Wettingen

Konservative Theaterfreunde bezeichnen die Freilichtinszenierung von «Viel Lärm um nichts» als obszön, vulgär und Shakespeare verhöhnend. Sie verkennen damit das vielschichtige Werk des grossen Meisters.

22. Juli 2014

«Es ist Shakespeare gegenüber nicht fair, wenn man sein Stück derart verhunzt», schreibt ein erboster Wettinger über das Stück «Viel Lärm um nichts», das derzeit im Rahmen der Klosterspiele in der Kantonsschule Wettingen aufgeführt wird. Die Inszenierung sei eine vulgäre Interpretation des Shakespeare-Klassikers. Gut, der Produktion ist ein gewisses Mass an Obszönität nicht abzusprechen. So erlebt eine Figur auf der Bühne sehr plastisch «die Ejakulation ihres Lebens.» Doch das ist zum einen im Grunde ja etwas Erfreuliches. Und zum anderen übersehen selbsternannte Moralapostel, dass der Klassiker schon seit jeher von anzüglichen Metaphern durchzogen ist.

«Das weiss man seit über 400 Jahren»

Der Plot der 1598 uraufgeführten Komödie ist zwar einfach, verwickelt sich jedoch in verschiedene Intrigen. Die unangepasste Beatrice lebt mit ihrem Onkel, dem Gouverneur Leonato, und dessen Tochter Hero in Messina. Nach dem Ende eines Krieges kehren der Prinz Don Pedro und seine Vertrauten Claudio und Benedikt bei Leonato ein.

«Das weiss man seit über 400 Jahren», wie Leonatos Bedienstete Margarete das Geschehen meta kommentiert. Beatrice und Benedikt kennen sich seit Langem. Sie lieben sich eigentlich, können sich ihre Zuneigung jedoch nur in sarkastischen Wortgefechten zeigen. Jetzt verliebt sich Claudio in Hero. Don Pedro versucht die Paare durch Manipulation zusammenzuführen, was jedoch schnell zu Intrigen und Missverständnissen führt.

Schillernde Randfigur

Was der isländische Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson mit einer hochkarätigen Besetzung in den Innenhof der Kantonsschule Wettingen gezaubert hat, ist eine über alle Massen gelungene Inszenierung des altbekannten Stoffs. Trotz einer Länge von zwei Stunden verspürt der Zuschauer zu keinem Zeitpunkt das Bedürfnis, auf die Uhr zu schauen. Dies verdankt der Abend einer Mischung aus jungen und erfahrenen Schauspielern, artifiziell überhöhter Inszenierung und der fantastischen Musik von Gabriel Cazes. Auch die gute, zeitgenössische Übersetzung von Angela Schanelac trägt zum Unterhaltungswert bei.

Die Inszenierung packt das Publikum von Beginn an, auch wenn es zunächst aus Improvisationen zu bestehen scheint. Hier glänzt vor allem Christian Beppo Peters in der Rolle des Leonato, der es schafft, aus einer relativ flachen Randfigur enorm viel herauszuholen. Da vergisst man fast, dass eigentlich Beatrice und Benedikt die Attraktionen des Abends sind. Sobald das Stück seinen Rhythmus gefunden hat, folgt eine clevere Idee der nächsten.

Bunter Kitsch und Show

So ist zum Beispiel die von André Meyer verkörperte Rolle des Don Pedro mit der seines bösen Bastardbruders Don John zusammengelegt. Damit ist ein vielschichtiger, der Hauptfigur aus «Der Pate» nicht unähnlicher Charakter entstanden, der zeigt, dass Manipulation grundsätzlich bedenklich ist.

Bei Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson darf das Artifizielle nicht fehlen. In dieser Produktion äussert sich das durch eine ironische Übersättigung von buntem Kitsch und Show. So äussert sich Beatrices Liebesbekenntnis in einer Gesangseinlage von «Ewigi Liebi», in der ein weissgekleideter Kinderchor auftritt. Das liegt wohl in der Tatsache begründet, dass auch die Liebe der Protagonisten eher Schein als Sein ist.

Schön obszön

Die Frage, was echt und was unecht ist, wird überdies auf allen Ebenen angesprochen und spielerisch vernebelt. Immer wieder bezeichnen die Figuren ihr Tun nämlich selbstreflexiv als «Theater» und ziehen den Zuschauer in ihr Spiel hinein. Schliesslich kann das Publikum dann auch ohne hohen Peinlichkeitsfaktor zum Apfelbaumwald werden.

Für Kenner kommt das Ende des Stücks unvermittelt schnell. Die Akte vier und fünf sind so sehr zusammengestrichen, dass die glückliche Lösung des zwischen Tragödie und Komödie schwankenden Stücks sehr abrupt eintritt. Das ist auch für unbedarfte Zuschauer schade, die dem turbulenten Treiben gerne noch eine Weile weiter gefolgt wären. Denn trotz (oder gerade wegen) der shakespearschen/arnarssonschen Obszönität war es ein sehr unterhaltsamer Abend.

Wo: Klosterhof Wettingen

Wann: bis 7. August 2014 jeweils 4 Aufführungen pro Woche (Di, Mi, Fr, Sa); Aufführungsbeginn um 20.15 Uhr (Dauer: ca. 120 Minuten ohne Pause).

Mit: André Meyer, Martin Vischer, Robert Rozic, Christian Beppo Peters, Nadia Migdal, Sarah Viktoria Frick, Uta Köbernick, Ronja Oppelt, Gabriel Cazes.

Preise: Fr. 70.-/50.-; mit Legi: Ermässigung um Fr. 25.-

Weitere Informationen unter www.klosterspiele.ch.