Senf der Redaktion: Ausgabe ZS#3/13.

Senf der Redaktion

26. April 2013

Wir empfehlen:

Rizzis Dokumentarfilm: «Blut muss fliessen»

Mit einer versteckten Kamera im Knopfloch seiner Bomberjacke besuchte ein deutscher Journalist unter dem Pseudonym Thomas Kuban neun Jahre lang Neonazikonzerte in ganz Europa. Aus dem Filmmaterial entstand die 2012 erschienene und ausgezeichnete Doku «Blut muss fliessen – Undercover unter Nazis». Sie gibt Einblick in eine Szene, in der Verschwiegenheit oberstes Gebot ist. Gezeigt werden Menschen, für die Lieder wie «Opa war Sturmführer bei der SS», Hitlergruss und Terror gegen Ausländer und Linke zur Selbstinszenierung gehören. Die neonazistische Subkultur setzt Kuban in den erweiterten Kontext von rechten Parteien und salonfähigen Populisten. So zeugt der Film auch von überlasteten Sicherheitsbehörden, unfähigen Politikern und einer ignoranten Gesellschaft, die solche Zustände überhaupt erst möglich machen.

Ritters Debatte: Campus-Wahlsendung

Die Wahl des Studierendenparlaments ist leider schon vorbei. Zum Glück kann sich, wer will, den Wahlkampf im Internet nochmal anschauen. Und das lohnt sich. Mein persönliches Highlight ist die TV-Diskussion auf dem Studiportal einer erzbürgerlichen Zeitung. In biederstem DRS-2-Hochdeutsch begrüsst ein steifer Moderator die Studipolitiker und fragt sie, ob Studierende Kunden sein sollen, Fleisch essen dürfen und, ob sie mehr Gebühren zahlen wollen. Die Studis bleiben stumm und halten Kärtchen hoch, auf denen «Ja» oder «Nein» draufsteht. Dann folgt eine Debatte zwischen dem Fachverein Jus (Protest ist schlecht!) und der linken KriPo (ihr verteidigt nur eure Pfründen!). Zum Schluss fordert die Interessengemeinschaft Irchel mehr Mikrowellen. Grosses Kino!

NZZ: Campus Special zu den VSUZH-Wahlen

Luthers Buch: Paul is undead

Alan Goldshers Roman «Paul is undead» ist eine Liebeserklärung an die Beatles, wie sie absurder nicht sein könnte. Sie beginnt im Jahr 1980 mit dem Attentat auf John Lennon, das bei Goldsher allerdings keinen tödlichen Ausgang nimmt. John ist nämlich ein untoter Zombie. Mit dieser Grundannahme gestaltet sich auch die Bandhistorie der Fab Four etwas anders: John beisst Paul, George und Ringo, um mit ihnen für alle Zeiten die beste Musik aller Zeiten zu machen. Fazit: Ein netter (wenn auch blutiger) Streifzug durch ein Stück britischer Musikgeschichte.

Schoops Magazin: REPORTAGEN

Endlich habe ich es entdeckt! Das Magazin «REPORTAGEN». Wie der Name schon sagt, widmet es sich gänzlich der Textsorte Reportage. Seit langem fasziniert mich diese Textform, nicht zuletzt, weil ich nirgends sonst beim Lesen so gut in andere Welten abtauchen kann. Das seit 2011 alle zwei Monate erscheinende Heft liefert jeweils sieben grossartige Geschichten zu den ungewöhnlichsten Themen. Hier drei Beispiele: «Wohnen auf Friedhöfen in Manila», «Prostitution im Iran» oder «Ein amerikanischer Farmer, der in Afrika Frauen als Vogelscheuchen beschäftigt». Das Magazin ist mit 20 Franken pro Ausgabe zwar nicht ganz billig, dafür kommt es in Leinen gebunden daher und macht sich gut in jedem Bücherregal.

Stolls Film: Enter the Void

Der französische Kultfilm ist eine visuelle Herausforderung. Die subjektive Perspektive zeigt die Welt von Oscar, einem Drogendealer in Tokyo. Durch seine Augen erlebt der Zuschauer Drogenrausch und Nahtoderfahrung und ist dabei an den Blick des Protagonisten gebunden. Jedes Blinzeln, jede Kopfbewegung Oscars wird von der Kamera aufgenommen, sodass im grell-farbigen Drogenrausch nicht nur die Filmfigur, sondern auch die Zuschauer die Orientierung verlieren. Trotz aller Rauschhaftigkeit bleibt die erblickte Welt, in der sich Oscar verliert, kühl, distanziert und künstlich. Gaspar Noés Werk ist keine leichte Kost, aber absolut sehenswert.

Zanders TV-Dokumentation: Oltre la curva

Fussball- und Eishockeyfans geniessen keinen guten Ruf in unserer Gesellschaft. Die wohl grösste Jugendkultur der Schweiz wird oft nur auf den Begriff «Hooligans» reduziert und so mit Gewalt in Verbindung gebracht. Das Problem ist nicht, dass von dieser Kultur ausserordentlich viel Gewalt ausgeht, sondern dass die Medien fast ausschliesslich darüber berichten. Das haben die Fans auch selbst zu verantworten, verweigern sie doch meist jeglichen Kontakt mit den Medien. Oltre la Curva bietet da eine bemerkenswerte Ausnahme. Die investigative TV-Journalistin Serena Tirani traf sich für die RSI-Sendung «Falò» mit zahlreichen Fans und sprach mit ihnen über ihre Kultur. Dabei herausgekommen ist eine empfehlenswerte und authentische Fernseh-Dokumentation.

Oltre la curva

Bäurles Genre: Creative Nonfiction

Im Zeitalter katastrophaler Reality-Shows und nichtssagender Kolumnen tut es gut, dass einige talentierte Autoren zum Genre der Creative Nonfiction beitragen und einem so die Lust an Geschichten aus dem Leben wiedergeben. Dave Eggers, Margaret Atwood, Jonathan Franzen oder Will Self gehören dazu. Auch deutschsprachige Feuilletons und Essays aus Zeiten, in denen es noch was zu erzählen gab, sollte man ausgraben. Da findet man Perlen von Franz Kafka, Joseph Roth oder Egon Erwin Kisch. Noch besser: Selber in die Tasten greifen und sehen, was einen selbst gerade beschäftigt.