Wie heisst das, was von einem Apfel übrig bleibt? Gütschi, Güürbsi, Huusini, Murmutz, Spuele oder gar Urssi?

All wänd s Dialäkt-Äpp

Schon 50‘000 Leute bestimmen mit der «Dialäkt Äpp» von Zürcher Linguisten ihren Dialekt. Beflügelt vom unerwarteten Erfolg arbeiten sie schon an einem grösseren Projekt.

16. April 2013

Unsere Sprache verrät viel über unsere Identität. Je nach Aussprache lässt sich ein Sprecher einer Region zuordnen. Die neue «Dialäkt Äpp» von Dialektforschern der Universität Zürich, Bern und Genf macht dies zuverlässiger als manch selbsternannter Dialektkenner. Anhand 16 deutschen Wörtern und ihrer vielzähligen schweizerdeutschen Aussprachevarianten bestimmt die neue Gratis-App den Dialekt des Benutzers. Der User wählt etwa zwischen den Varianten «ufe», «ue», «ueche», «embrüf» oder «wuehei» für das Wort «hinauf». Hilfestellungen für die richtige Bestimmung der schweizerdeutschen Varianten geben neben der Verschriftlichung auch das internationale phonetische Alphabet. Zudem lassen sich die Aussprachemöglichkeiten auch abspielen, so dass sich Feinheiten heraushören und unterscheiden lassen. Hat der Benutzer die seiner Aussprache entsprechende Variante aller 16 Wörter gewählt, verortet die Applikation den Sprecher geographisch. Doch die neue App lokalisiert den Sprecher nicht nur nach Kantonen, sondern teilt ihn einer von fast 600 Gemeinden zu. Denn für die geografische Verortung verwendet die «Dialäkt Äpp» den Sprachatlas der Deutschen Schweiz, der die Dialekte von fast 600 Gemeinden dokumentiert hat und das Schweizerdeutsche auf rund 1500 Karten abbildet. 16 dieser Wort-Karten haben die Dialektforschenden ausgewählt, um anhand ihrer Schnittmenge den Dialekt zu verordnen.

Wissenschaftliches «Chochichästli-Orakel»

Wem diese Dialektzuteilungsfunktion anhand verschiedener Varianten eines Wortes bekannt vorkommt, ist wohl schon mit der «Chochichästli-Orakel»-Website oder App vertraut, die den schweizerdeutschen Dialekt aufgrund von zehn Begriffen lokalisiert. Adrian Leemann, einer der Hauptinitianten der «Dialäkt Äpp» sagt dazu: «Die Idee, Leute aufgrund ihrer Aussprache zu lokalisieren ist nicht neu. Dialektometrie ist ein eigenes Forschungsgebiet innerhalb der Linguistik und besteht schon seit Jahrzehnten. Unsere App bringt viele neue Funktionen mit und profitiert von der interdisziplinären Zusammensetzung unserer Gruppe.» Denn die neue «Dialäkt Äpp» ist im Gegensatz zum Chochichästli-Orakel von Phonetikern produziert worden. Demnach wurden die 16 Begriffe systematisch ausgewählt. Leemann sagt: «Nicht nur kommen wir mit den 16 zu bestimmenden Begriffen zu einer besseren Schnittmenge und genaueren Resultaten, wir haben uns auch mehr auf lautliche als auf lexikalische Merkmale konzentriert.» Lautliche Merkmale – wie etwa Unterschiede in «froge», «fröge», «frage» oder «frege» oder «lupfä» (Ost), «lüpfä» (West) und «lipfe» (Wallis, Basel) sind viel stabiler als lexikalische Varianten wie «Bütschgi», «Bätzgi» und «Bäzi». Diese seien zwar oft Standardwörter wenn es um schweizerdeutsche Dialektunterschiede gehe, sie seien heute oftmals aber nicht mehr so stabil wie früher, sagt Leemann. Mitunter ein Grund dafür sei, dass das Schweizerdeutsche sich teilweise dem Standarddeutschen anpasst, und so etwa Varianten für «Schmetterling», wie «Summervogel» (Norden) oder «Fifalter» (Süden) unter deutschem Einfluss immer mehr verschwinden. Bei der Auswahl der 16 Karten haben sich Leemann und Kolly deshalb mehrheitlich für Dialektkarten entschieden, die lautliche Dialektunterschiede, das heisst Unterschiede in der Aussprache, erfassen. Solche Dialektgrenzen haben sich seit 1900 kaum verändert.

Wie sagen die Walliser «Abig»?

Doch anders als beim «Chochichästli Orakel» können die Benutzer der «Dialäkt Äpp» ihren Dialekt nicht nur bestimmen, sondern diesen auch aufnehmen und abhören, wie andere Schweizer die Wörter aussprechen. So kann man etwa auf der Karte den Kanton Wallis anwählen und sich anhören, wie die Sprecher dort «Abend» sagen.

Bisher haben an die 50‘000 Leute die App runtergeladen, 35‘000 davon bereits in der ersten Woche. Die App ist sehr interaktiv. Um die 2000 User haben auch schon ihre Aussprache der 16 Wörter aufgenommen. «Damit hätten wie nie gerechnet.», sagt Leemann. Die Aufnahmen werden direkt auf die App raufgeladen. So entsteht eine Flächenkarte des Schweizerdeutschen. Von überall aus der Schweiz gibt es Aufnahmen.

Diese grosse Teilnehmerzahl eröffnet der Forschungsgruppe rund um die «Dialäkt Äpp» neue Möglichkeiten. «Zu Beginn war es nicht die Idee, dass die App zu einem Forschungsprojekt wird. Vielmehr sollte der Benutzer auf spielerische Art und Weise die Dialektlandschaft der Schweiz kennenlernen. Jetzt im Nachhinein können wir aber Hypothesen und Forschungsfragen für die Auswertung dieser Daten aufstellen.», sagt Leemann.

20 000 liessen sich lokalisieren

Nicht nur die Aufnahmen stossen auf reges Interesse. Es haben sich auch schon an die 20‘000 User lokalisieren lassen. Die App fragt den Benutzer nach der Zuteilung, ob das Resultat stimmt. So kann der Sprecher bei einer falschen oder ungenauen geographischen Verortung angeben, welchen Dialekt er wirklich spricht. So lernt die App dazu und lokalisiert immer genauer. Je mehr Resultate dies ergibt, desto mehr lässt sich abgleichen, ob sich ein Dialekt verändert hat oder nicht. Die Sprachdaten des Sprachatlas der Deutschen Schweiz (SDS), die der App zugrunde liegen, spiegelt den Sprachstand um 1900 wider. Mit der Auswertung der neuen Ergebnisse liesse sich erkennen, inwiefern sich die schweizerdeutschen Dialekte in den letzten hundert Jahren verändert haben.

App kam dank Crowdfunding zustande

Finanziert haben Adrian Leemann und Marie-José Kolly das Projekt mittels der Crowdfunding-Plattform «wemakeit.ch». Innert 45 Tagen hatten sie die dafür benötigten 10‘000 Franken zusammen. Insbesondere Mitarbeiter der Wissenschafts-Community, Freunde und Familie wurden für das Projekt gewonnen. Die «Dialäkt Äpp» ist ein non-profit Projekt und daher auch gratis erhältlich – bisher allerdings nur für das iPhone und iPad. Eine für Android-Smartphones taugliche App ist in Planung.

Ein weiterführendes Projekt ist bereits in vollem Gange: Das «Swiss Voice App Projekt», das vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) mit 186‘046 Franken unterstützt wird. Mit dem Gefäss «Agora» unterstützt der SNF Projekte von Forschenden, die mit der Öffentlichkeit in einen Dialog über die wissenschaftliche Forschung und deren Bedeutung für die Gesellschaft treten wollen. «Ein App ist ideal, um komplexe Inhalte so herunterzubrechen, dass diese auch von einer breiten Bevölkerung verstanden werden.», sagt Leemann. Zusammen mit Kolly, Dellwo und weiteren Forschenden will er mit dem neuen Projekt unter anderem die «Dialäkt Äpp» ausbauen. So soll man die richtige Variante des Wortes, die man spricht, mit der neuen Applikation nicht mehr mit dem Finger via touch screen anwählen müssen. Die Auswahl soll künftig mittels automatischer Spracherkennung getroffen werden. Zudem soll es eine Voice-Profiling-Funktion geben. Diese erstellt aufgrund der Aussprache weniger Sätze das Stimmprofil eines Sprechers. Die App wertet aus, ob der Sprecher im Vergleich zum Durchschnittsschweizer eher schnell oder langsam spricht, oder wie zum Beispiel die eigene Intonationsstruktur aussieht. Auch phonetisches Wissen soll spielerisch weitergegeben werden. Der User kann so etwa herausfinden, wie sich die Zunge bei bestimmter Artikulation bewegt. Das Projekt läuft zwei Jahre und wird voraussichtlich im Januar 2015 fertig sein.

Tage der Stimme

Bis dahin können sich User an der «Dialäkt Äpp» erfreuen und die verschiedenen Funktionen ausprobieren. Am 16. April lädt der World Voice Day ausserdem zu interessanten Events ein. Von 17 – 19 Uhr wird am Universitätsspital Zürich ein Symposium zu «Measurable voice phenomena and early voice problems» gehalten, an dem auch Prof. Dr. Volker Dellwo, Mitinitiant des «Swiss Voice App Projekts» referiert.

Hier bekommst du die gratis «Dialäkt Äpp»:

https://itunes.apple.com/ch/app/dialakt-app/id606559705?mt=8

Mehr Infos zum World Voice Days:

http://www.orl.usz.ch/SiteCollectionDocuments/Internationaler%20World%20Voice%20Day_16.04.13.pdf