Flucht ist kein Verbrechen

Ein Iranischer Flüchtling erzählt von seiner grossen Leidenschaft, den unzufriedenen Menschen in seiner Heimat und den Mängeln des Asylwesens.

25. März 2012

Überraschenderweise erscheint Benjamin Jafari fünf Minuten zu früh zum Interviewtermin mit der ZS. Der Asylsuchende aus dem Iran hat einen vollen Terminkalender, es ist gar nicht so einfach, sich mit ihm zu treffen. Nach dem Interview muss er gleich weiter zur Theaterprobe. Wir sitzen an der Sihl vor der Gessnerallee, der Himmel ist strahlend blau. Benjamin ist ein sehr offener Mensch Er spricht Deutsch mit starkem Akzent – manchmal ist es schwierig, ihn zu verstehen. Oft sucht er nach Worten und gibt nicht auf, bis er einen passenden Ausdruck gefunden hat. Mal ist er ernst, mal lächelt er verschmitzt hinter den orange getönten Gläsern seiner Sonnenbrille hervor.

Du siehst sehr müde aus, Benjamin.

Ich habe seit etwa einer Woche nicht geschlafen.

Warum denn?

Ich hatte so viel zu tun. Wir stecken mitten in den Endproben der beiden Theaterprojekte, in denen ich mitwirke.

Dann wäre es doch umso wichtiger, in dieser Zeit zu genügend Schlaf zu kommen.

Komischerweise fühle ich mich gar nicht müde. Mein Körper ist total fit, nur mein Kopf ist schwer. Das geht aber wieder vorbei, wenn ich auf der Bühne stehe. Wenn ich Theater spiele, bin ich einfach nur glücklich.

Was fasziniert dich so am Theater?

Ich kann so mit Menschen in Kontakt treten und zu ihnen sprechen. Am liebsten mag ich politische Stücke. Für mich ist Theater das beste Ausdrucksmittel, um über Politik zu diskutieren.

Du hast aber auch eine andere Art, dich mit Politik auseinanderzusetzen.

Ja. Kürzlich war ich mit anderen Asylsuchenden in Bern. Dort haben wir Bundesrätin Sommaruga um die Aufnahme von 173 Sans-Papiers gebeten. Anschliessend haben wir das Generalsekretariat der SP besetzt, um auf unsere Situation aufmerksam zu machen.

Das war nicht deine erste Aktion dieser Art.

Ich habe schon viel in dieser Richtung gemacht, weil ich die Ausländerpolitik der Schweiz sehr schlecht finde. Ich war an Demonstrationen beteiligt. Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum ich seit fast fünf Jahren auf meine Aufenthaltsbewilligung warte.

Fünf Jahre sind eine lange Zeit des Wartens.

Durch das Theater bin ich ständig in Bewegung und denke nicht so viel nach. Jeder Mensch muss arbeiten oder eine Beschäftigung finden, sonst bekommt er früher oder später psychische Probleme. So geht es vielen Asylsuchenden, die den ganzen Tag über nichts zu tun haben.

Was machst du, wenn du einmal nicht Theater spielst?

Ich besuche den Deutschunterricht in der Autonomen Schule oder gehe in die Bibliothek. Manchmal besuche ich auch Vorlesungen in Politikwissenschaften an der Uni.

Im Iran hast du selbst Politikwissenschaften studiert. Wie verfolgst du die Politik in deinem Heimatland?

Ich denke und hoffe, dass der Arabische Frühling auch auf den Iran übergreifen wird. Wenn Assad in Syrien gestürzt ist, kommt Ahmadinedschad an die Reihe. 80% der iranischen Bevölkerung ist gegen die Regierung. Jahrelang wurde sie manipuliert. Das Volk ist verarmt, in den Köpfen der Menschen wird es bald zu einem Umdenken kommen. Auch im Iran wird es früher oder später zu einer Revolution kommen.

Wirst du zurückkehren, wenn das Regime gestürzt werden sollte?

Ja sicher. Für was sollte ich dann noch bleiben? Wegen dem Geld? Ich bin wegen unseren Problemen geflohen, nicht um hier in Europa Geld zu verdienen.

Wie kamst du in die Schweiz?

Ich reiste vom Iran aus bis in die Türkei und setzte dort mit vielen anderen Flüchtlingen in drei Schlauchbooten nach Europa über. Auf dem Meer kenterten zwei Boote. Dabei kamen viele Menschen ums Leben, vor allem Frauen und Kinder. Es war Nacht, ich habe nur die flehenden Hilfeschreie der ertrinkenden Menschen gehört. Und das Weinen. Es war furchtbar. Wer es bis Europa schafft, hat jedoch erst die erste grosse Hürde der Flucht überwunden.

Wie meinst du das?

Erstmal hier angekommen warten Flüchtlinge wie ich jahrelang, jahrzehntelang auf eine Aufenthaltsbewilligung. Dabei verlieren die meisten jede Hoffnung. Hoffnung ist das letzte was wir noch verlieren können, alles andere haben wir bereits verloren. Wir werden hier behandelt wie Verbrecher. Flucht ist aber kein Verbrechen.

Wie hast du es geschafft, deine Hoffnung nicht zu verlieren?

Ich hatte viel Glück und bin dankbar für alles. Vieles habe ich der Autonomen Schule Zürich zu verdanken. Dort habe ich Deutsch gelernt und durch die Autonome Schule bin ich zum Theater gekommen. Durch das Theater habe ich Leute in der ganzen Schweiz kennen und lieben gelernt. Ein Schweizer Freund von mir sagte einmal: «Benjamin, du kennst mehr Leute in der Schweiz als ich, obwohl ich hier aufgewachsen bin.»

Fühlst du dich hier zu Hause?

Ich lebe hier. Deshalb würde ich die Schweiz als meine zweite Heimat bezeichnen. Trotz meiner schwierigen Situation bin ich hier freier als im Iran.

Benjamin Jafari kam vor viereinhalb Jahren als politischer Flüchtling in die Schweiz und wartet seither auf seine Aufenthaltsbewilligung. Im Theater Gessneralle stand er mit «WG Babylon» auf der Bühne und in «Die Unsichtbaren» fungiert er als Berater. Beide Stücke sind Teil der Reihe «Verortung», die sich mit dem Thema Flucht, Migration und Einwanderung beschäftigen. Mehr Infos zu den Produktionen auf www.gessnerallee.ch.