Maximilian Jaeger wachte immer über «seine» Uni. Patrice Siegrist

Die Uni verliert ihr Gesicht

Er war die rechte Hand des Rektors. Er war 35 Jahre an der Uni. Häufig zog er im Hintergrund die Fäden. Nun geht Maximilian Jaeger in Pension.

23. November 2011

Maximilian Jaeger betrachtet sich selbst im Spiegel. Er steht im ehemaligen Fechtsaal im Uniturm, da ist sein Büro, wegen Umbau. Über der Brust trägt er eine rote Schärpe, «Mr. University» steht in goldenen Buchstaben darauf. Plötzlich ertönen Schritte, er erschrickt.

Es ist das Jahr 1997, Jaeger auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Die Schärpe hat ihm seine Assistentin Evelyne Isler als Geschenk zum 50sten aufs Pult gelegt. Von ihr ist auch der Spitzname. Weil er immer so viel arbeitet. Weil er als «Gesicht der Uni» gilt. Weil er überall seine Finger im Spiel hat.

Das Oberhaupt der Uni ist aber der Rektor Hans-Heinrich Schmid, und der betritt in diesem Moment das Büro. Er sieht den «Mr. University» und bricht in schallendes Gelächter aus. Jaeger ist die Situation peinlich. Schmid nimmt ihm das Stück Stoff ab und überreicht es ihm am Mittag vor versammelter Verwaltung.

Heute ist Maximilian Jaeger seit 30 Jahren an der Uni angestellt. Fünf Rektoren hat er erlebt, 100’000 Studis haben in dieser Zeit, nach heutiger Währung, rund 30 Millionen ECTS-Punkte gesammelt. Studiert und promoviert hat Jaeger ebenfalls an der Uni Zürich. Nun geht die Ära Jaeger zu Ende. Im Januar wird er pensioniert.

Immer für alle da

Für uns Studis war immer unklar, wie Maximilian Jaeger schaltete und waltete. Wie viel er wirklich entscheiden konnte. Ob er tatsächlich der Studierenden Freund war, als der er sich immer bezeichnete. Schliesslich zahlte das Rektorat Maximilian Jaegers Lohn. Zeit für einen Versuch, dem «amöbenhaften» Maximilan Jaeger Konturen zu geben.

Sein Büro ist im 1. Stock des Hauptgebäudes. Ich klopfe, keine Antwort. Die Tür steht einen Spaltbreit offen. Im Schloss steckt ein dicker Schlüsselbund. Er hat ihn vergessen, wie so oft. Er liess seine Schlüssel überall liegen, verlor sie im Parkhaus, zuhause im Garten. Die Hausabwarte trugen sie ihm nach, er verlor sie immer wieder.

Wer zu ihm kam, war immer willkommen. Auch, wer einfach mal «Hallo» sagen oder sich ausheulen wollte. Wozu also Schlüssel? Sie waren ihm, man hat so das Gefühl, irgendwie lästig.

Dabei öffnete keiner so viele Türen. Etwa Zugänge in die höheren Sphären der Univerwaltung. Aber auch ganz konkret: Die letzten 30 Jahre hat Maximilian Jaeger entschieden, wer an der Uni einen Raum bekommt.

Unversehens tritt er aus einem benachbarten Zimmer: Mit kurzem, lockigem Haar, darin erste graue Vorboten. Er trägt einen Anzug, aber nicht so einen, wie ihn die heutigen Banker tragen. Auf dem Arm ein Stapel Sichtmäppchen. Er strahlt trotz seinen 65 Jahren etwas Jugendliches aus.

Auf das Gespräch, das wir an einem niedrigen, antiken Tischchen führen, hat er sich akribisch vorbereitet. Er weiss genau, wie er erinnert werden will. Das Interview für sein Porträt: ein weiteres Geschäft, ein rotes Sichtmäppchen, darin mehr als ein Dutzend Blätter, handgeschriebene Notizen.

Der König der Finanztöpfe

Heute wissen nur Wenige, was Maximilian Jaeger im KOL-E-15a alles so tut. «An der Uni hat jeder so viele Kompetenzen, wie er sich nimmt», soll Rektor Schmid einmal gesagt haben.

Jaegers Job, heute «Delegierter des Rektors», ist dafür das beste Beispiel: Sein Pflichtenheft schrieb er selbst. Die Stelle hatte viele Namen, der Inhalt war die letzten 30 Jahre derselbe: Jaeger war der Vertreter des Rektors für alles Unbürokratische, die Scharnierstelle zum Rektorat. Aufstiegsmöglichkeiten hatte er nie. Er ist direkt dem Rektor unterstellt, aber Rektor kann er nicht werden, das können nur Professoren. Er kann niemandem am Stuhlbein sägen. Das ist ihm angenehm.

Ein Dossier, das Jaeger immer unter seiner Fittiche hatte, war «Soziales und Kulturelles». Es war für ihn das Filetstück seiner Arbeit. «Ich verstand mich immer als Fürsprecher der Studierenden», sagt er. Wenn sich Jaeger für eine Sache begeistert, ist sehr schnell sehr viel möglich. «Dann räumt er alle Schranken weg», sagt der ehemalige StuRa-Vizepräsident Pit Kramesberger, «man muss ihn nur face-to-face überzeugen». Es ist legendär, wie er oft irgendwo im Verwaltungsdickicht ein Kässeli auftrieb. «Er ist König über 200 Finanztöpfe», sagt Sylvie Fee Matter, ehemalige StuRa-Präsidentin. Mit seiner Begeisterung schoss er gelegentlich übers Ziel hinaus: «Er war so gutherzig, dass er manchmal einen Schritt zu weit ging», sagt Raymond Bandle, über 20 Jahre Projektleiter bei der Abteilung Bauten und Räume. Jaeger versprach Dinge, die in der Verwaltung nicht umsetzbar waren.

Dann dauerte es. Man fragte nach. Schrieb noch eine Mail. Irgendwann war die Sache ausgesessen. Die Uni ist ein Durchlauferhitzer: Nach einem Jahr ist ein Fünftel der Studis weg. Man fragte sich: «Kann er nicht oder will er nicht?»

In einigen Fällen wollte Jaeger wohl einfach nicht. Sebastian Brändli, Chef des Hochschulamtes, erinnert sich an ein Gespräch am «dies academicus». In festlicher Stimmung sprachen sie über den Nachwuchs, erörterten die Frage: Wie schafft man es, dass die Kinder das tun, was man richtig findet, aber aus eigenem Willen? Das war Jaegers Credo.

Er weiss genau, was er richtig findet. Wenn die Studis etwas «Falsches» wollten, dann nahm er es eben trotzdem entgegen – und ab und zu verlief es dann im Sand. Nicht immer sprach er Klartext. «Viele Worte, wenig Taten», sagt ein Student. Mit Taten meint er hier: Geld für den StuRa. Als Ausrede schob er gelegentlich Paragraphen und Verordnungen vor. «Jaeger hat zu vielem eine dezidierte Meinung, sagt sie aber nicht», sagt die letztjährige StuRa-Präsidentin Gwendolyn Marx. «Amöbenhafte Auskünfte» gebe er, heisst es. Ein «Taktierer» sei er, ein «Zauderi», ein «Lavierer» sagen diejenigen, die er warten liess.

Das war nie böse gemeint. «Ich kann nicht Nein sagen», sagt Jaeger von sich selbst. Er sagt es, ohne zu zögern. Die vielen Sichtmäppchen, die sein Büro zieren, sind der beste Beweis. In allen Ecken türmen sie sich zu regenbogenfarbigen Stapeln. Es müssen Hunderte sein. Jedes Mäppchen ein Geschäft. Mitten im Gespräch zückt er eine Liste: eine Momentaufnahme von 1999, drei A4-Seiten, pro Zeile ein Geschäft. Von «Akademischer Chor» bis «zart&heftig».

Viele erhielten den Eindruck, er sei ein Chaot, er habe einfach ein «Puff» und keinen Überblick. Das ist falsch. Was ihm wichtig ist, bleibt nicht liegen.

Jaegers Job ist ein Sammelbecken oder, negativ gesagt, auch ein «Kübel». Geschäfte und Anfragen, die nicht klar zugeteilt sind, landen bei ihm. Weil er keine Anfrage mit einem simplen «Nein» abweist, verschafft er auch unüblichen Anliegen Gehör. «Ich gab den Ratsuchenden nie das Gefühl, dass ich keine Zeit für ihr Anliegen habe», sagt er.

Nach Rapperswil zum Gespräch

Die folgende Geschichte ist ein exzellentes Beispiel dafür. Er erzählt sie nur ungern. Er möchte sich nicht ins Rampenlicht stellen. Sie geht so: In den 1990er-Jahren erhält Rektor Hans-Heinrich Schmid einen Anruf. Eine alte Frau, etwas verwirrt, ist am Apparat. «Max, ruf die mal an, die ist kurlig», delegiert er. Sie will ein persönliches Gespräch. Weil er sowieso in der Gegend einen Schrank abholen muss, besucht er die Rentnerin an einem Freitag, um 13 Uhr, in Rapperswil. Sie serviert Coca-Cola und Guetzli. «Eine schwarze Perücke hatte sie auf, darunter weisses Haar, so ein Häxli.»

Drei Stunden hört er zu, sie erzählt aus ihrem Leben. Sie will spenden. Er sagt, was die Möglichkeiten sind. Eineinhalb Jahre später steht im Tages-Anzeiger: «Frau spendet der Uni enormen Betrag». Wie viel genau, will Jaeger nicht sagen. Es war eine riesige Summe. Die ETH hatte nicht zurückgerufen.

«Unkonventionelle Menschen sind eben keine strukturierten Leute», sagt der Direktor des ASVZ, Kaspar Egger, seit über 20 Jahren an der Uni, «vielleicht ist er ein Chaot, aber ein sehr positiver».

Jaeger arbeitet nicht nur ohne jegliche Scheuklappen, zu seinem «chaotischen» Charakter gehört auch eine unglaubliche Spontaneität.

Seit 1995 fährt er mit dem Roller zur Uni. Zu diesem kam er zufällig. «Ein Student parkierte gerade seine Vespa», erinnert er sich. Jaeger sagt im Vorbeigehen: «Schön, bei diesem Wetter Vespa zu fahren!» Der Student hält ihm die Schlüssel hin, «wollen Sie die Vespa kaufen? Drehen Sie doch eine Runde.» Nach einer fünfminütigen Rundfahrt greift Jaeger zu, für 1500 Franken. Heute fährt er eine 250er von Piaggio.

Wichtige Entscheide in seinem Leben traf Jaeger immer blitzschnell.

Nach der Matur schreibt er sich für Jus an der Uni Zürich ein, will Bankjurist werden. Neben dem Studium leert er nachts Eisenbahnwaggons auf der Sihlpost. Noch während dem Studium heiraten er und seine Frau. Das Umfeld sagt: «Ihr spinnt doch», es kümmert sie nicht. Nach 40 Jahren funktioniere es immer noch, «ein guter Entscheid», sagt er.

Um zur Bank zu gehen, habe man zu dieser Zeit «Offizier, katholisch oder Dr.» sein müssen. Also schreibt er eine Dissertation – «sie ist nicht sehr spannend, müssen Sie nicht lesen». Daneben fliegt er ein Jahr lang er als Steward regelmäs­sig über den Atlantik. Er geht zuerst für vier Jahre ans Gericht, dann zur Bank.

Bis er an einem Sonntag zufällig das Inserat in der Zeitung sieht: «Rektor sucht Jurist», daneben das Unisiegel, «das wäre doch interessant», sagt er zur seiner Frau, die gerade die Pflanzen giesst.

Er bewirbt sich, ohne lange zu überlegen, der Rektor bekommt einen Juristen, der sein Leben lang bleiben wird.

Grabenkämpfe an der Uni

In den frühen 1980ern herrscht ein bürgerlicher Geist an der Uni. Die Kluft zwischen Alt und Jung ist gigantisch. Wer als Studierender mit einem Vertreter vom Rektorat ein Bier trinkt, gilt als Verräter.

Danni Härry war zu dieser Zeit unipolitisch aktiv. Er erinnert sich an Jaeger, wie er 1982 zur Uni kam: «Rundes Brillchen, lange, wirre Haare, ein Chruselkopf. Den Tschopen trug er eine Nummer zu weit». Er ist keine graue Eminenz, sein Habitus schafft Vertrauen. Man trifft ihn im Moods, im Skebe.

«Niemand hörte uns zu», sagt Härry.

Jaeger hörte zu.

Er steht zwischen Studierenden, Rektorat und Bildungsdirektion, muss vermitteln. Sein Vorgänger wurde zwischen den Fronten aufgerieben. Auch Jaeger gerät zwischen Hammer und Amboss – und reüssiert. «Zwischen Rektorat und Revoluzzern zu vermitteln, das hat er gut hingekriegt», sagt Theo Schmid, der damals unipolitisch aktiv war. «Viele dachten damals, er sei einer von uns», sagt Härry. «Er war kein Linker», erinnert sich der damalige Rektor Konrad Akert.

Jaeger konnte immer Vertrauen auf beiden Seiten schaffen. Er hat in vielen Konflikten meisterhaft verhandelt und Konfrontationen verhindert.

Nur einmal scheitert er, die jüngsten Demonstrationen von 2009 enden im Streit. Bei dieser Geschichte wird er lauter, sie hat ihn mitgenommen. «Sonst gab es immer einen dünnen Draht, an den man sich halten konnte», sagt er mit einer unüberhörbaren Enttäuschung in der Stimme. Doch davon später.

Ohne Jaeger aufgeschmissen

Die ersten Jahre an der Uni waren schwierig. Konrad Akert war ab 1984 der erste vollamtliche Rektor der Universität Zürich. Um halb sechs Uhr stand er bereits im Büro, erwartete einen ausgeschlafenen Jaeger, der damals junger Familienvater war. «Er wollte immer, dass ich Bussen verteile», erinnert sich Jaeger, «er war ein Übervater und Patriarch». Die besten Erinnerungen hat er an die Zeit ab 1988, unter Hans-Heiri Schmid, dem Rektor, der ihn mit der Schärpe ertappte. «Ein exzellenter Hochschulpolitiker», sagt er, beide hatten dieselbe wohl geordnete Unordnung im Büro. Während der Zeit mit Schmid war er «im Saft», wie er sagt. Es ist eine anstrengende Zeit, aber auch der Höhepunkt seiner Karriere. In dieser «saftigen» Zeit verändert sich die Uni stark: Unabhängigkeit vom Kanton, stark wachsende Studierendenzahlen und die ersten Vorboten des Bologna-Systems – die Reform fand er übrigens «nötig» – sind am Horizont auszumachen.

In dieser Zeit baut sich Jaeger sein Netzwerk. Die Rektoren sind gottenfroh, jemanden wie ihn zu haben. «Der Rektor ist auf einen guten Stab angewiesen. Da war so ein ruhender Pol wie Jaeger immer Gold wert», sagt Sebastian Brändli, Chef des Hochschulamts.

Ein Rektor ist kein Manager. Er ist ein Experte in seinem Fach. Noch heute ist Jaeger eine wichtige Stütze: «Ohne ihn wäre Fischer aufgeschmissen», sagt eine unipolitisch aktive Studentin.

Jaeger genoss grosses Vertrauen und arbeitete sehr unabhängig. Den jeweiligen Rektor traf er nur einmal in der Woche für eine Stunde, um 14.30 Uhr, zum Dienstagsrapport. «Max hatte immer um die 200 Dinge gleichzeitig am Laufen. Er kam immer mit einer riesigen Beige Sichtmäppchen zum Rapport», erinnert sich der ehemalige Rektor Hans Weder. Es blieb kaum Zeit, um auch nur eine Handvoll zu besprechen. Den Rest erledigte er selbständig. «Ich wollte immer nur ein kleines Rädchen sein», sagt er, «vielleicht bin ich zum Schluss doch ein grösseres geworden».

Diesen Gedanken lässt er ausklingen, als seine Assistentin Evelyne Isler das Büro betritt. Sie sei am nächsten Tag nicht da. «Das ist aber nicht gut», sagt Jaeger. Er steht auf, mit der ihm eigenen Hektik: zügig, aber nicht hastig. Er überprüft den Terminkalender. Ohne Isler wäre ihm vieles über den Kopf gewachsen.

Isler, der Fels in der Brandung

Gerade in der hektischen Zeit war Isler eine wichtige Stütze. Sie legte sich als Vorzimmerdrache auf die Schwelle, wenn gar abwegige Wünsche vorgetragen wurden. Mit mütterlichem Beschützerinstinkt hat sie Jaeger verteidigt. Sie wird ebenfalls pensioniert, einen Monat früher als Jaeger. Es ist ihr gar nicht recht, dass der «Max» diese 30 Tage ohne sie auskommen muss.

Einmal kam eine Delegation vom StuRa in Islers Büro, darunter der damalige StuRa-Vizepräsident Enrico Cavedon: «Nahe dem Schreibtisch lehnte ein fast lebensgrosses Foto von einem sitzenden Maximilian Jaeger an der Wand.» Er habe dieses wohl fragend angestarrt, denn Isler habe geantwortet: «Ja, ja, Herr Jaeger wacht immer über uns.»

Er wachte auch über die Uni. Seine Nase steckt er überall hinein. Bei der Sanierung der Uni ab 1994 schreitet er durch die Baustellen und kritisiert, bis ihm der Kanton eine Art «Bauverbot» erteilt. Er sah es als seinen Auftrag, die Nutzer dieser Räume zu vertreten. Das wurde nicht goutiert. Aber Jaeger hatte recht: «Da, wo der Gang von der Mensa zum KOH-B-10 zu den Toiletten abbiegt, da wollten die eine Schwingtüre einbauen», sagt er, «das hätte doch Verletzte gegeben». Man baute eine Schiebetüre.

Daneben war Jaeger an jeder «Hundsverlochete» zu Gast. An einer Uniparty von 1994, sie hiess «Multisexuell», bewilligte Jaeger einen Darkroom. Der stand zwar im Konzept, aber niemand wusste, was das war. Statt etwas zu unternehmen, ging er sich die Sache anschauen. Partybesucher erinnern sich, wie er um den Darkroom schlich und die Sache beäugte. «Er war immer präsent, an allen Partys und Demos dabei», erinnert sich Theo Schmid, damals Student, «wir haben das nicht als Überwachung empfunden». Irgendwo sei Jaeger immer zu sehen gewesen, mit seinem «Schnauzer».

An den Schnauz erinnern sich alle mit einem breiten Grinsen. Mit 18 Jahren liess er ihn wachsen. Er wurde sein Markenzeichen. Als vor zwei Jahren die ersten weissen Haare sprossen, musste er ab. Die Leute fragten, ob er seine Locken färbe. Viele sind sich einig, und das wird ihn schmerzen, dass er ohne Schnauz besser aussieht.

Unten Kläger, oben Jaeger

Ein «feiner Mensch», ein «wunderbarer Typ», «sehr elegant» oder «einfach ein gmögiger Typ»: Jaeger wird in der Verwaltung geachtet, geschätzt und geliebt.

Doch in seinem Reich gab es, aus Jaegers Optik, einen Störenfried. Dazu muss man zwei Dinge wissen: Erstens ist Jaeger stolz darauf, der Anwalt der Studierenden zu sein. Er gefällt sich als eine Art gütiger Vater. Zweitens gilt Jaeger als ein wenig sensibel, etwas dünnhäutig.

Bis 1996 war er alleine, doch dann bezieht drei Stöcke tiefer Alfred Kläger sein Büro. Er übernimmt die Leitung der Mensa. Auch er geniesst es, nahe bei den Studierenden zu sein. Auch er hört Jazz, vor allem die alten Sachen. Auch er verstand sich als Dienstleister.

Während Jaeger in seinem Südseite-Büro mit Seesicht Probleme auf diplomatische Weise löste, war Kläger ein Beizer, ein jovialer, extrovertierter Typ, klopfte gerne Sprüche, schwitzte über Mittag beim Schöpfen des Parmesans. «Schöngeist» gegen «Proll», so formuliert es ein Student, der beide gut kannte.

Ein ewiger Wettstreit um die Gunst der Studierenden beginnt. Sie buhlen darum, wer den grösseren Einsatz für die studentische Sache leistet, wer den Studis näher ist, wer sie besser versteht. Jaeger trägt ungeniessbare Sandwiches persönlich in Klägers Büro und hält sie ihm unter die Nase. Dieser weist jede Schuld von sich. Sie zanken sich um Gipfeli, Äpfel, Kühlschränke, Steckdosen, Mitarbeiter, Apéropreise bei Antrittsvorlesungen und auch einmal um ein T-Shirt aus dem Fundsachenbüro. Ein «Bluffer» sei der Kläger. Ein «Rappenspalter» der Jaeger. Dieser krieche mit den Studierenden unter eine Decke! Jener stecke seine Nase in Dinge, die ihn nichts angehen!

Es galt die Regel: Im Gespräch mit Jaeger den Namen «Kläger» auf keinen Fall erwähnen. Bei einer Party in der Mensa war die Gretchenfrage: Zuerst zu Kläger oder zu Jaeger? Man schmunzelte über die Streithähne. Beide waren bei den Studierenden beliebt.

Wie sich Jaeger mit Kläger so verkrachen konnte, ist vielen ein Rätsel. Denn Jaeger, und das sagen alle, ist in all den Jahren ein grosser Diplomat gewesen.

Ein Meister der Diplomatie

Eigentlich war es einer seiner Jugendträume, Diplomat zu werden. «Das hatte ich immer im Hinterkopf», sagt er, «aber traute mich doch nicht».

Er wurde es trotzdem. Sein feines diplomatisches Gespür konnte er an der Uni exzellent gebrauchen. Diese ist eine Expertenorganisation: behäbig, kompliziert, altehrwürdig. Hackordnungen in den Instituten, in den Fakultäten. «Er hat ein riesiges Taktgefühl, in diesem ganzen feudal-patrizischen Unifilz», sagt jemand, der ihn kennt. Am «dies academicus» treffen sich rund 600 Würdenträger aus der Politik und dem Hochschulbetrieb. Jaeger erstellt mit Assistentin Isler jedes Jahr die Sitzordnung. «Das machte er meisterhaft», sagt Hochschulamts-Chef Brändli, «da gibt es so viel Verletzungspotential». Jaeger kannte die Fettnäpfchen, die überall lauerten. «Er ist jemand, der mit allen Schichten sehr gut kommunizieren kann, von ganz unten bis ganz oben», sagt Assistentin Isler.

Wenn Besuch von ganz oben kam, war er es, der den Empfang organisierte. Wie er mit dem Rektor Weder und dem Dalai Lama durch den Lichthof schritt, durch eine Gasse von 1000 Tibetern, das sei ein «überwältigendes und elektrisierendes Highlight» gewesen.

Als Hillary Clinton 1999 die Uni Zürich besuchte, nützte ihm seine diplomatische Ader auf eine ganz konkrete Weise: Sie kam mit dem Bus, Rektor Schmid und Jaeger traten vor die Uni. Dummerweise trugen eine Sekretärin und die First Lady den gleichen Haarschnitt. Schmid steuerte auf die «falsche» Hillary zu. Jaeger kann ihn gerade noch zu der echten Clinton hinlenken.

Kurz vor der Pension kriegt Jaeger noch einen Flecken auf seine weisse Diplomatenweste. Die Unileitung ist ausser sich, als im November 2009 der grösste Hörsaal der Uni besetzt wird. «Wir konnten das nicht akzeptieren, im Interesse des ordentlichen Unibetriebs», sagt Jaeger, der sich anfangs vielleicht sogar ein bisschen über das Aufmucken gefreut hatte, denn desinteressierte Studis sind ihm ein Graus. Er packt zum letzten Mal seinen Anti-Protest-Werkzeugkasten aus. Er interessiert sich für die ungebetenen Gäste. Er friert in der Kälte und hört sich neben Bärtigen mit Bierfahnen linken Punkrock an.

Am Sonntag, an dem das Ultimatum für die Räumung ausläuft, rufen ihn Besetzer spätabends aufs Handy an. «Ich bin im Büro», sagt Jaeger, der drei Stöcke weiter oben sitzt. Er sorgt sich, dass bei einer Räumung Studierende verletzt werden könnten.

Sein Weibeln stösst auf keine Gegenliebe. Die Besetzer empfinden seine Art als «schleimig» und «anbiedernd». Sie wollen mit der Uni nichts zu tun haben. Das kränkt ihn.

Der Mensch Jaeger ist ihnen schnurz. Ein Mensch, der keine ellenlangen Mails schreibt, der den persönlichen Kontakt schätzt. Die Anonymität der Besetzer ärgert ihn, «früher sind wenigstens alle mit Namen hingestanden». Jaeger sagt Dinge, die er nicht einhält. Zum Schluss scheitert es an einer Unterschrift, an einer Formalität. Eines Morgens sind die Schlösser des versprochenen HIM-Pavillons ausgewechselt.

Der Papi geht

Die Uni war nie nur sein Arbeitsplatz, sie war auch sein Zweitwohnsitz. Maximilian Jaeger hat sich mit «seiner Uni» so stark identifiziert, dass seine Stelle und seine Person eigentlich nicht mehr trennbar sind. Sein Nachfolger, Thomas Tschümperlin, wird seinen eigenen Stil finden müssen.

Bis dann wird sich Jaeger noch väterlich um Anliegen von Studierenden kümmern und ihnen helfen, wo er kann.

Er wird aber auch versuchen, dass sie das tun, was er richtig findet, aber aus ihrem eigenem Willen.

Die Schärpe liegt noch heute in seinem Büro. Goodbye, Mr. University.