Waltraud und ihre Gegenstände. PD

Duell: Waltraud

Unsere Waltraud: Ist sie gut oder böse?

Daniela Zimmermann (Dafür) und Stefanie Pfändler (Dagegen)
18. Mai 2010

Dafür

Wo auch immer ich durch die Gänge, Räume und Gärten der ETH und Uni lustwandle – ich vermag es, ein Lächeln auf das Antlitz der Studierenden zu zaubern. Mir wird warm ums Herz, wenn ich in eure aufleuchtenden Augen sehe! Für einen Moment sehe ich das Kind in euch verantwortungstragenden, wohnungssuchenden, examenbedrückten jungen Menschen aufblitzen. Ein kurzes Innehalten, Schwelgen in Erinnerungen, an die Zeiten, als ihr einst mit euren Geschwistern auf Grossmutters Schoss den Walter im Bilderbuch gesucht habt. Wer hat ihn und seine verlorenen Dinge zuerst gefunden? Ärgernis und Freude war damit verbunden, eure Ausdauer und Geduld auf die Probe gestellt. Mein teurer Walter ist in Vergessenheit geraten, in die hintersten Ecken eures Gehirns gerückt, verdrängt von Formeln, Definitionen, Methoden.

Nun, Jahre später geht ihr geeilten Schrittes durch den Lichthof, führt euch hastig euer Mittagsmahl zu Gemüte und DA! erblickt ihr mich, irritiert – wurde euch doch früh genug beigebracht, dass es unsereins Gestalten nur im Bilderbuch gibt. Ich setz mich zu euch, plaudere und geniesse es, mit euch zu sein, eure Sorgen und Freuden zu teilen. Ich geh mit euch auf die Strasse und protestiere gegen die Erhöhung der Studiengebühren, trinke mit euch einen Hopfentrunk oder lasse euch in der Mensa Vortritt gewähren.

Euch möchte ich zudem danken für den Eifer, mit dem ihr mir helft, meine verlorenen Dinge wieder zu finden. Denn mir ist die Eigenschaft des Vergessens angeboren, aufgrund derer ich mich wohl nie den höheren Studien widmen könnte. Trotzdem verweile ich gerne unter euresgleichen. Ihr seid mir sehr lieb geworden, und den einen oder anderen Freund habe ich schon gefunden. Heute noch grüsse ich meinen einstigen Sitznachbarn im Lichthof, mit dem ich an meinem ersten Tag an der Uni eine Konversation aufgenommen habe! Nicht zu vergessen sind meine sehr geschätzten virtuellen Freunde – Facebook ist natürlich auch an mir nicht spurlos vorbeigegangen!

Nun, meine Teuren, ich will euch eins sagen: Solltet ihr mir eines Tages in schlechter Gesinnung entgegentreten, verschwinde ich so schnell ich aufgetaucht bin in die Untiefen des ZS-Archivs. Denn nichts lässt mein Herz mehr erstarren als die Kälte eines anderen. Schenkt mir ein Lächeln, so werde ich verweilen.

Dagegen

Meine erste Begegnung mit Waltraud war eigentlich gar keine, denn das Biest hatte sich getarnt. In der Gestalt einer hübschen, jungen Dame schlich sie sich an der Seite unseres Chefredakteurs an meine geburtstäglichen Festlichkeiten. Was sie dort tat? Sich schamlos vergnügen natürlich. Aber darum geht es hier nicht. Hier geht es darum, dass Waltraud in ihrer Freizeit Mensafrauen quält und im Lift Professoren erschreckt. Vermutlich tut sie noch viel Schlimmeres. Waltraud streift mit ihren fröhlichen Streifen scheinbar harmlos durchs Unigelände, kichert schauderlich und klaut Erstsemestrigen das Pausenbrot unter der Nase weg.

Das ginge ja noch, denn von irgendetwas muss sie sich ja ernähren, aber das Schlimme ist: Sie ist überall! Alle Orte, die wir an der Uni mögen, sind längst Waltraud-Domäne geworden. Wie ein ungeliebter WG-Mitbewohner, der das Bier wegsäuft und überall seine stinkenden Socken rumliegen lässt, verteilt Waltraud strategisch ihre Siebensachen in unserem geistigen Heim. Und wir sollen diese für sie auch noch suchen. So ein inakzeptables Sozialverhalten würden jegliche Mitbewohner – und seien sie noch so freundlich gesinnt – umgehend mit einem Rauswurf sanktionieren.

Waltraud hat eine schwarze Seele. Eigentlich sollte man sie lustig und niedlich finden und «jöh» und «ach» und «och» seufzen, wenn man sie in ihren farbigen Klamöttchen sieht. Doch wer sie trifft, will ihr keineswegs grossväterlich den Kopf tätscheln, oh nein! Vielmehr wird er unvermittelt von Schreikrämpfen befallen und läuft händewedelnd im Zickzack davon. Denn Waltraud hat das gefährlich-schizophrene Wesen eines Clowns: Ihr Anblick löst unkontrollierbare Ängste aus, und man kann sich förmlich vorstellen, wie sie nachts davon träumt, Studierende zu quälen und böse Sachen mit uns anzustellen. Und diese Behauptung ist nicht etwa einfach so aus der Luft gegriffen! Aus sicheren Quellen weiss ich, dass die ZS ursprünglich eine Kooperation mit Walter für erstrebenswert hielt. Dieser verschwand allerdings nach der Vertragsunterzeichnung spurlos, und am nächsten Tag stand die hysterisch kichernde Waltraud vor der Tür. Zwecks Glaubwürdigkeit verschweige ich mal die umgehängte Kettensäge.

Was tun also? Waltraud beseitigen? Sich mit ihr verschwestern? Ruhe bewahren, sage ich, und rate zur präventiven Vorsicht: Haltet vorerst eure Pausenbrote fest, bleibt wachsam und vor allem: Verbringt mit Waltraud auf keinen Fall ein Wochenende in einem verlassenen Waldhaus! Wir wissen ja, was bei sowas passiert.

Und sagt nicht, ich hätte euch nicht gewarnt.