Nicolas Zahn

Zu Gast in Anton Leists Kopf

Wenn das Bier zur Blume wird und weibliche Burschen bezahlen. Einblicke in einen fidelen Abend mit der

21. Oktober 2009

Studentenverbindung «Welfen».

Statt in die müden Augen der Studierenden schaue ich in unseren Garten. Nachts ist er besonders schön. Ich gehe hinaus und atme die frische Abendluft ein, während mein Blick zum ungemähten Teil des Rasens, dem Teil meiner Frau, hinüber schweift. Wenn ich meine Argumentationskünste nicht gerade darauf verwende, meine Frau von den Vorzügen eines englischen Rasens zu überzeugen, philosophiere ich. Natürlich am liebsten im Garten.

Ich tue dabei aber nicht nichts, wie das den Philosophen ja oft vorgeworfen wird. Ich bin Professor für praktische Philosophie, was man als Synonym für Ethik gebrauchen könnte. Der praktische Teil besteht darin, eine Art Bedienungsanleitung für gutes Handeln zu schreiben. Diese Anleitung soll den Menschen im Alltag helfen, aber auch Naturwissenschaftler dürfen bei ihren Experimenten gerne einen Blick darauf werfen. Allerdings wird man in dieser Bedienungsanleitung kaum absolute Antworten und konkrete Handlungsweisen finden. Während ich die Rosen begutachte, philosophiere ich weiter: Hätte ich dem Bettler, der mir heute am Bahnhof begegnet ist, wirklich Geld geben sollen? Einerseits bin ich davon überzeugt, dass er Hilfe braucht, andererseits hege ich eine tiefe Abneigung gegen das Betteln. Meist spende ich altersabhängig, denn ein junger Bettler wird dann mit seiner sozialen Situation konfrontiert und überlegt sich vielleicht zu arbeiten. Da verhält es sich wie mit dem Alkoholiker, dem man eventuell nichts geben sollte um ihn mit seiner Situation zu konfrontieren. Vor allem aber sollte ich meinen Hortensien mal wieder Wasser geben.

Natürlich philosophiere ich auch gerne über die «grossen» Probleme, wie die Gerechtigkeit in der Arbeitsgesellschaft. Dieses Thema interessiert mich mit meiner Vergangenheit als Maschinenschlosser besonders. An der Uni war ich mal eine Zeit lang akademischer Marxist. Während die anderen auf der Strasse Polizisten mit Steinen bewarfen, philosophierte ich friedlich über eine gerechtere Welt.

Die Manager driften heute ja erst recht ab, nicht nur weil sie Kokain nehmen, sondern weil sie halt unter einem enormen Erfolgsdruck stehen. Als Pragmatiker masse ich mir aber nicht die Kenntnis eines Patentrezeptes für diese Probleme an. Allerdings habe ich jede Menge Kochrezepte in petto. Vielleicht sollte ich meine Frau in der nächsten Runde des Rasenkrieges nicht mit sachlichen Argumenten, sondern mit verlockend duftenden Gerichten konfrontieren. Oder wäre das unethisch?