Nach Gaddafis Vorschlag soll die Schweiz auf ihre Nachbarländer aufgeteilt werden. Wikimedia Commons

Duell: Aufteilung der Schweiz

Comic

Thomas Macher (Pro) und Roger Köppel (Kontra)
21. Oktober 2009

Dafür

Im Herzen Europas liegt ein Land, das sich im eigenen Sprachengewirr oft selbst nicht mehr versteht, sich auf grauen und schwarzen Listen als Paradies für Steuerflüchtige wiederfindet, seinen obersten Repräsentanten jährlich wechselt und sich in über 150 Jahren de jure auf keine Landeshauptstadt einigen konnte. Was anderswo Anlass für sinistre Staatsstreiche und radikale Revolutionen bieten würde, kostet die Bewohner dieser so genannten «Willensnation» nur ein müdes, fast resignierendes Achselzucken. Der Rest der Welt runzelt dagegen die Stirn und fragt sich schon lange: Ist die Schweiz überhaupt ein Staat?

Während sich die internationale Gemeinschaft in dieser dringlichen Frage aber weiterhin nur durch Untätigkeit auszeichnet, nannte ausgerechnet Libyens Staatschef Muammar Gaddafi die unbequeme Wahrheit beim Namen: Die Schweiz muss aufgelöst und aufgeteilt werden! Dieser Geistesblitz des Wüstendespoten, wahrscheinlich zwischen der Wahl der Manschettenknöpfe für seine neue Galauniform und dem Zerreissen der UN-Charta entstanden, könnte der Eidgenossenschaft endlich den Weg aus den chaotischen Zuständen weisen. Weg vom verklärten Image des idyllischen Heidilandes hin zu den Schmelzöfen und Kaminen Bochums, die für ehrliche Arbeit und nicht für Postkartenkitsch stehen. Weg von der Überregulierung und Pedanterie Zürichs hin Abenteuerlichkeit und halbseidenem Flair, das nur Neapel und Palermo bieten können. Und weg von der ermüdenden Konkordanzpolitik hin zu den pulsierenden Strassen von Paris, wo in jeder politischen Botschaft noch ein Feuer brennt.

Ja, den Schweizern kann wohl nichts Besseres passieren, als dem Sturmgewehr und der Neutralität endgültig abzuschwören und zu Franzosen, Deutschen und Italienern zu werden. Und all diejenigen, die Heimweh und nostalgische Gefühle plagen, können sich ja einmal im Jahr zu Käsefondue und Zartbitterschokolade auf dem Rütli treffen und in Erinnerung an vergangene Zeiten schwelgen. An Zeiten, als das Bier in Studentenlokalen noch fünf Franken und nicht 2 Euro kostete und man sich mit der Nati und den Schweizer Fussballklubs noch alle heiligen Zeiten über die kleinen Erfolge und knappen Niederlagen freuen konnte, anstatt in ermüdender Wiederkehr ständig internationale Titel und Kantersiege bejubeln zu müssen.

Dagegen

Die Gaddafi-These, die glatt von Schweizer Intellektuellen stammen könnte, ist Schwachsinn. Niemand kann ernsthaft die Auflösung der Schweiz fordern wollen. Die Schweiz hat seit fünfhundert Jahren keinen Krieg mehr entfesselt. Sie hat ungezählten Flüchtlingen eine zweite Heimat verschafft. Sie bleibt, auch heute noch, eine Oase der Freiheit und der Demokratie in der Welt. Gäbe es die Schweiz nicht, man müsste sie erfinden.

Ich kenne kein zweites Land, in dem die Bürger mehr zu sagen haben. Unsere Mitwirkungsrechte sind einzigartig. Der Staat ist von unten nach oben aufgebaut, und insofern verkörpert er das bisher erfolgreichste Freiluftexperiment in gelebter Basisdemokratie. Das Faszinierendste an der Schweiz ist der Umstand, dass sie nicht von Philosophen auf dem Reissbrett entworfen, sondern in jahrhundertelangen Kämpfen und Auseinandersetzungen ehrlich errungen wurde. Ihre freiheitlichen Traditionen reichen zurück ins Mittelalter, auch wenn uns Uni-Professoren periodisch das Gegenteil erzählen.

Die Schweiz ist der Stachel im Fleisch eines von Bürokraten beherrschten Europas. Sie ist ein Irritationsfaktor für alle Obrigkeits- und Staatsgläubigen. Ihre Institutionen sind intelligenter als die Leute, die sie vertreten. Die Schweiz ist Ausdruck der tiefen Sehnsucht der Schweizer, von der Politik möglichst in Ruhe gelassen zu werden. Beamte, Technokraten, Politiker haben einen schweren Stand, weil sie sich hier nicht entfalten können. Der Bürger steht wie ein Bollwerk gegen ihren Machtanspruch.

Es gibt allerdings beunruhigende Entwicklungen: Weil in der EU die Bürger nichts zu sagen haben, sind die meisten Politiker für einen Schweizer EU-Beitritt. Sie wollen sich vom Joch der direkten Demokratie befreien. Teile unserer Eliten und der Verwaltung in Bern möchten das sperrige Gebilde Schweiz im Brüsseler Bürokratenparadies auflösen. Diese Gaddafis sind gefährlicher als der Mann in Tripolis.