Der erste Fall

Professor Georg Kohler über das umstrittene Lehrangebot am philosophischen Seminar, die Konsumentenmacht der Studierenden und die Autorität der Dozierenden.

25. März 2009

Draussen regnete es in Strömen. Nur meine Kehle war noch trocken. Nicht besonders ungewöhnlich, bedenkt man die Flaute in meinem Portemonnaie und die normalen Klimaverhältnisse zu dieser Jahreszeit. Viel ungewöhnlicher war, dass ausgerechnet heute eine hübsche Studentin mein Büro betrat.

«Ich brauche ihre Hilfe.» – «Was kann ich für Sie tun?» – «Kennen Sie sich aus in universitären Belangen?»

Ich hatte vor kurzem ein Studium angefangen. Doch der Leistungsdruck trieb mich unausweichlich in den Alkoholismus. Deshalb musste ich meine Leidenschaft erst einmal «on the rocks» stellen.

«Ist verdammt lange her, dass ich mich an der Universität habe blicken lassen. Einmal musste ich einen vermissten Erstsemestrigen ausfindig machen. Ich fand den armen Kerl schliesslich ganz ausgehungert in den Katakomben der ETH. Er hatte sich partout geweigert, nach dem Weg zum Vorlesungssaal zu fragen.»

«Typisch Mann. Aber ich habe ein weitaus wichtigeres Problem. Suchen Sie mir ein Thema zu einer Lizenziatsarbeit.»

«Sie sind wohl keine gläubige Bolognareformistin? Geben sie mir doch eine kurze Beschreibung ab.»

Es folgte eine weitere Demonstration, dass sich Studierende selten in knapper Form mitteilen können. Der Vortrag endete mit: «Übrigens, gibt es Studentenrabatt?»

«Sorry Lady, es gibt nicht einmal Studentinnenrabatt!»

Ich nahm den Fall an. Schliesslich stecken wir in einer Krise, da nimmt man jede Arbeit dankbar an. Vor allem wenn etwas Liquides oder ein Bonus dabei heraus schaut. Doch wo finde ich ein Thema? Ich nutzte meine Kontakte, doch die skrupellose Kreditpunkte-Mafia hatte nur Plagiate im Angebot. Auch im Lichthof ging mir kein Licht auf. Und das Rauchverbot veranlasste mich, meine Recherchen anderorts weiterzuführen. Kaum hatte ich mir meine Zigarette angezündet, stand ich auch schon fünf mittellosen Studenten gegenüber. Für jede Zigarette knöpfte ich ihnen ein Thema ab. Tja, die freie Marktwirtschaft lebt eben doch!