Markus Lütscher arbeitete einen Sommer lang als Kammerjäger. Damian Arquint

Markus Lütscher, Kammerjäger

Sie putzen unseren Dreck und räumen alte Zeitungen weg: Die Frauen von der Unterhaltsreinigung. Unsere Reporterin schwang einen Tag lang den Wischmop.

14. Februar 2009

Rote Augen starren mich aus der Dunkelheit an. Ich starre zurück in das Loch am Boden, das sich wie ein Höllenschlund vor mir auftut. Ich bin sicher, diese Bestien beobachten mich aus der Tiefe. Ein mulmiges Gefühl beschleicht mich und ich beeile mich, die Giftköder auszulegen. Denn die Ratte, die ich in diesem Loch verschwinden gesehen habe, war gigantisch.

Ratten, die ich bis anhin kannte, waren niedliche, zahme Tierchen aus dem Fachhandel. Doch hier, in einem Hinterhof der Langstrasse, sind Ratten so gross wie Katzen und sehen aus wie mutierte Hyänen. Sie leben im Untergrund der Stadt, sind selten sichtbar, aber allgegenwärtig. Sie sind fett, intelligent und wagen sich immer öfter in das Reich der Menschen vor.

Ich bin hier, um sie alle ins Jenseits zu befördern. Denn ich bin Homo Sapiens und Teilzeit-Kammerjäger. Ausgerüstet mit allerlei Gift, Fallen und sonstigem Gerät, rücke ich Ratten, Tauben und allem was kreucht und fleucht zu Leibe. Sie haben Kakerlaken im Keller? Motten im Schrank? Ich bin ihr Mann!

Mein Umfeld reagierte mit Erstaunen und zuweilen mit Belustigung über meinen Sommerjob. Zugegeben, es ist nicht der typische Nebenerwerb eines Studierenden. Aber mein Konto zeigte tiefrote Zahlen, da muss man eben flexibel sein. Also unterschrieb ich kurzerhand den Arbeitsvertrag einer Schädlingsbekämpfungsfirma. Die Bezahlung schien gut und ich sah sogar einen fachlichen Bezug zu meinem Studium der Biologie. Ich bekam einen eigenen Firmenwagen und durfte von nun an selbstständig Aufträge ausführen. So fuhr ich jeweils am Morgen los und befreite die zivilisierte Welt von Spinnen, Kakerlaken, Mäusen, Ratten, Bettwanzen, Fliegen, Wespen und anderem Krabbelgetier.

Während drei Monaten habe ich beinahe jedes Dorf der Schweiz und dessen Schädlinge gesehen. Dabei habe ich wertvolle Erfahrungen gewonnen. So weiss ich jetzt zum Beispiel, welche Restaurants und Bordelle man besser meiden sollte und dass man als Kammerjäger offenbar die Phantasie von gelangweilten Hausfrauen ankurbelt.

Die Arbeit gleicht in vielerlei Hinsicht einem Schachspiel. Man muss das Ungeziefer studieren und eine geeignete Strategie entwickeln, um es Schachmatt zu setzen. Meist kommt dabei versprühtes Gift zum Einsatz. Ich gebe zu, dieses Vorgehen ist niederträchtig und fies und ich kann es moralisch nicht immer ganz befürworten. Aber wie sagt man so schön? In der Not vernichtet der Teufel Fliegen.

Im Hinterhof in der Langstrasse war ich besonders grausam und habe für diese gigantische Ratte genug Gift ausgelegt, um eine ganze Bisonherde in die ewigen Jagdgründe zu schicken. Doch als ich zurückkehrte, war kein einziger Köder mehr da – und auch keine tote Riesenratte. Die Bestie hatte mich für einmal besiegt.