Auch Woody Allen trägt Hornbrille. Wikimedia Commons

Duell: Hornbrille

Zusammen mit langhaarigen Männern und Brillenschlangen?

Joel Bedetti (Dafür) und Mirjam Sidler (Dagegen)
14. Februar 2009

Dafür

Ja, ich trage Hornbrille. Sie war kein geplanter Kauf, sondern die Folge eines Schicksalswinks: Eines Morgens sprang eine Kontaktlinse aus meinem Auge. Beim Suchen zertrat ich sie. Ich beschloss, mir eine Brille zuzulegen, um für solche Malheurs künftig gerüstet zu sein. Die Optikerin hielt mir dieses mattschwarze, eckige und doch so schön geschwungene Gestell unter die Nase. Da wusste ich: Das Ding will ich auch auf meiner Nase.

Hornbrillenträger. Eine marginalisierte Gruppe in der Gesellschaft. Für Fashionistas und andere Tyrannen sind sie leichte, weil auffällige Opfer. Alles mögliche wird in Hornbrillenträger hineinprojiziert: Der Neid auf die Szenis, die wissen, wo die Trends gesetzt werden. Unverständnis gegenüber der Avantgarde, die Neues wagt, das man erst später versteht. Der Wunsch, irgendwelche Leute an den Rand der Gesellschaft zu drängen, um sich selbst in der Mitte zu wissen.

Hornbrillenträger haben es nicht leicht. Wer das Teil auf die Nase setzt, exponiert sich. Die Kritiker kapieren aber nicht, dass man von der Hornbrille nicht voreilig auf den Träger schliessen soll. Natürlich laufen Möchtegerncoole und debile Regisseure damit herum. Aber eben auch andere Menschen. Gute wie schlechte, stilvolle und stillose Kurzsichtige haben ein Bekenntnis zu dieser wunderbaren Sehhilfe abgelegt: Robert Mugabe ebenso wie Erich Honecker, Johnny Depp ebenso wie Max Frisch.

Mit letzterem kommen wir auch gleich zum ästhetischen Kernargument der Hornbrille-Gegner: «Huere Retroscheiss». Auch diese Kritik trifft voll ins Leere. Gegenstände aus dem vorigen Jahrhundert sind nicht nur eine aktuelle Modelaune. Fernab von der «Vogue» haben sich in den letzten Jahrzehnten einige Gegenstände etabliert und die zeitlose ästhetische Absolution erhalten: Lederjacke, Jeans, Converse. Und eben die Hornbrille.

Meine Hornbrille trage ich übrigens nur in Extremsituationen, in der Wüste und vor dem Zubettgehen. Denn, sind wir ehrlich: Eigentlich sehen alle Brillen scheisse aus.

Dagegen

Auch unser Chefredaktor ist dem fürchterlichen Trend erlegen und trägt sie. Wie eine fette Spinne sitzt sie in seinem Gesicht, die fiese schwarze Hornbrille. Dabei geht ihre Ära doch bereits wieder einem wohlverdienten und lang ersehnten Ende entgegen. Nur männliche Möchtegernmodels und ein einsamer Fielmann-Angestellter tragen sie noch. Und einige der Mode hinterherstolpernde Magazine loben sie als das neuste und trendigste Accessoire überhaupt.

Aber wieso tun sie das?

Erich Honecker, Woody Allen oder Max Frisch haben ihre Brillenungetüme, deren Nachkommen auf heutigen Nasen thronen, wohl kaum aus Stilbewusstsein getragen. Es gab damals halt nichts anderes. Deshalb muss man vierzig Jahre später aus der Not noch lange keine Tugend machen! Die unförmigen, dickrandigen Gestelle sind Anachronismen und haben in unserer Gesellschaft nichts mehr zu suchen.

Hornbrillen sehen nun mal nicht gut aus. Sie stehen höchstens einer Handvoll hinreissend schöner Menschen. Deren Vollkommenheit kann auch so ein dickes Ungetüm im Gesicht nichts anhaben. Leider sind aber die wenigsten unserer Zeitgenossen mit dem Aussehen und Charme eines Jude Law gesegnet, welcher eben auch mit Hornbrille sexy aussieht – man gedenke der Sehhilfe, die er in «The Holiday» trägt.

Dennoch gibt es Leute, die sie tragen. Immer wenn ich ihnen im Tram oder an der Uni über den Weg laufe, frage ich mich, an wen oder was sie mich erinnern. Bisher sind mir nur Tiervergleiche eingefallen: Erdmännchen mit Sehschwäche, leicht debile Maulwürfe oder kurzsichtige Schildkröten.

Mir fehlen die Worte und ich frage mich, was die Faszination von Hornbrillen eigentlich ausmacht. Denn zugegeben, auch ich habe bei meinem letzten Brillenkauf für eine Zehntelssekunde mit dem Gedanken gespielt, mein Gesicht mit so einem Modell zu ver(un)zieren. Allerdings nur auf Anraten der netten Verkäuferin.

Moooment. Sind wir da vielleicht einer Verschwörung der Brillenindustrie auf der Spur? Werden wir alle manipuliert und des Chefredaktors Hornbrille ist erst die Spitze des Eisbergs? Was haben Fielmann und Co mit uns vor? Über der Eingangstür meines Optikers steht nämlich ein Zitat von Dumas: Das Leben ist bezaubernd, man muss es nur durch die richtige Brille sehen.

Ich möchte wirklich nicht wissen, wie es durch eine Hornbrille aussieht.