Mary und Jonas nahmen beide Ritalin. Lukas Messmer

«Nach drei Stunden kannst du nachwerfen.»

Jonas (23)* und Mary (19)* studieren Chemie. Beide nahmen während Prüfungsphasen schon Ritalin. Ihn putschte es auf, sie beruhigte sich damit. Sie schaffte die Prüfungen, er nicht.

11. März 2008

Wie seid ihr dazu gekommen, Ritalin zu nehmen? — Jonas: Mir hat ein Kollege Ritalin angeboten, der es selbst von einem Kollegen hatte. Es gibt aber viele Wege, an Tabletten zu kommen. Man kann es sich ganz normal von Arzt verschreiben lassen. Du gehst dahin, gibst die Symptome an – die findest du im Internet. Wenn man genügend Ärzte abklappert, kommt man sicher auf legalem Weg zum Ritalin. — Mary: Mir erzählte Jonas, dass er welches besass und auch schon ausprobiert hatte. Ihm half es, also versuchte ich es auch einmal.

Wie wirkt Ritalin auf euch? — Mary: Die meisten Leute nehmen es ja, weil es wach macht – ähnlich, wie wenn man sehr viel Kaffee trinkt. Bei mir bewirkt Ritalin das Gegenteil. Ich bin jemand, der immer sehr zappelig ist. Wenn ich lernen will kann, ich nie ruhig auf dem Stuhl sitzen. Mit dem Ritalin ging das sehr gut. Ich konnte ganz ruhig atmen, arbeiten und mich konzentrieren. Du willst auch nicht dauernd Kaffee trinken oder Kreuzworträtsel lösen gehen. Nichts lenkt dich ab. — Jonas: Mich putscht es auf, ich bin dann ziemlich gut drauf und gut gelaunt. Beim Lernen konnte ich hinsitzen und mich voll konzentrieren. Nichts lenkt dich ab, du bist voll da. Falls du ein Problem hast, in der Familie oder so, tritt das völlig in den Hintergrund. Das verschwindet und kommt erst später wieder.

Macht ihr euch keine Sorgen über Nebenwirkungen? — Jonas: Es ist ein Medikament, daher nein. Das nehmen ja auch 10-jährige Kinder. Wenn die Wirkung nachlässt, wirst du einfach müde. Nicht wirklich heftig, du fühlst dich einfach schlapp. Du holst die ganze Energie auf einmal raus, dann kommst du wieder runter. Wenn du über längere Zeit konsumierst, besteht sicher Abhängigkeitsgefahr. Das liest man auch in den Foren.

Wie häufig habt ihr Ritalin genommen? — Jonas: So eine Lernphase geht bei mir zwei bis drei Wochen. Ich habe den Konsum auf mich abgestimmt und schrieb alles auf, um die Kontrolle zu haben. Nach einer Viertelstunde beginnt es jeweils zu wirken. Nach zwei bis drei Stunden, kannst du nachwerfen. Zuerst nahm ich bis 30 mg pro Tag, einmal versuchte ich 60 mg. Das war aber zuviel, es wirkte gegenteilig. Die optimale Dosis für mich war drei bis vier Tabletten am Tag. — Mary: Ich nahm einfach jeweils am Morgen eine Tablette.

Könnt ihr heute noch ohne Ritalin lernen? — Jonas: Ja, sicher. Ich konnte auch vorher ohne das Zeug lernen. Wenn du unter extremem Zeitdruck bist, ist es sicher nützlich. Letztendlich aber kommst du aus so einer Phase ziemlich verwirrt raus. Ich habe dann die Prüfungen auch vermasselt. — Mary: Ich bestand die Prüfungen. Ohne Ritalin hätte ich nicht soviel lernen können. Es geht sicher auch ohne, aber das Medikament ist sicher hilfreich.

Werden Studierende, die kein Ritalin nehmen, nicht benachteiligt? — Jonas: Sicher nicht, die haben diese Möglichkeit ja auch. Auch wenn es illegal ist, für mich ist es ja auch nicht legal. Es haben alle genau die gleichen Voraussetzungen. Ich sehe nicht, warum das unfair sein soll. — Mary: Nein, unfair ist es nicht. Andere können einfach zwei Stunden hinsitzen und lernen. Ich kann das einfach nicht. Darum ist es durchaus fair, wenn ich so auch einmal die Möglichkeit habe, konzentriert lernen zu können. Andere können das so oder so schon besser!

Wie reagiert euer Umfeld? — Jonas: Zuerst wollte ich es nicht gross rumerzählen. Aber als ich mit Leuten ins Gespräch kam, merkte ich, dass es den anderen Leuten eigentlich egal war. Es ist ja mein Leben. Einige sagen, ich spinne. Ich sage: Die wissen gar nicht Bescheid. Die haben gar keine Ahnung. — Mary: Mir hat noch nie jemand gesagt, ich spinne. Man ist eher neugierig, fragt, wie es ist, wie es wirkt. Das ist vielleicht so, weil wir Chemiker interessiert sind an solchen Substanzen und ihren Wirkungen.

Werdet ihr künftig auch noch Ritalin nehmen? — Jonas: Das Kapitel ist für mich abgeschlossen. Ich machte meine Erfahrungen, für mich waren die Nebeneffekte zu stark. Du sitzt dann an der Prüfung und hast diese Stimmung, dass dir alles scheissegal ist. Du hängst dort und fühlst dich ziemlich gaga. — Mary: Du musst auch keine Tabletten auf die Prüfungen nehmen! — Jonas: Ich lernte eben dauernd damit, also ging ich auch damit an die Prüfung. Da war es mir völlig schnurz, wie die Prüfung rauskäme. Das Ritalin baut den Stress ab. — Mary: Wenn es eine Gelegenheit gäbe und ich welches kriegen könnte, halt im geringen Ausmass, würde ich das schon wieder nehmen.

Und, könnt ihr Ritalin für stressige Prüfungsphasen empfehlen? — Jonas: Nein. Aber das muss jeder selber wissen. In meinem Fall hat es sich eher negativ ausgewirkt. Die wichtigen Prüfungen bestand ich nicht, an die anderen ging ich nicht mehr. — Mary: Leuten, die sich schlecht konzentrieren können oder hyperaktiv sind, würde ich es empfehlen. Denjenigen, für die das Medikament ja eigentlich gemacht wurde.

*Namen von der Redaktion geändert.