«Orlando» ist bis zum 29. Mai im Fotomuseum in Winterthur zu sehen. Judith Ebnöther

Zeit und Geschlecht sprengen

Kulturspalte

9. Mai 2022

Ausstellung — Die Ausstellung «Orlando» ist von Virginia Woolfs gleichnamigen Buch aus dem Jahr 1928 inspiriert. Woolf beschreibt und kritisiert in ihren Büchern mehrfach die einengende Rolle, die Frauen ihrer Zeit zugewiesen wurde. «Orlando» ist eine Art Liebesbrief an ihre Gefährtin Vita Sackville-West, die als Inspiration für den Hauptcharakter Orlando diente. Dabei ist Orlando in zwei Aspekten aussergewöhnlich: Erstens lebt er/sie über vier Jahrhunderte und bereist dabei die Welt und zweitens wechselt er/sie nach etwa der Hälfte des Buches abrupt das Geschlecht. «Geschlechterfluidität, die Idee eines grenzenlosen Bewusstseins und die Perspektive endlosen Lebens» werden so auch als Haupt- themen der Ausstellung beschrieben. Kuratiert wurde diese von Tilda Swinton, welche in der Verfilmung von Sally Potter 1992 Orlando selbst verkörperte. Die Ausstellung widmet der filmischen Inszenierung so auch einen ganzen Raum, in dem Swinton in historischen Kostümen aus verschiedenen Jahrhunderten auf die Besucher*innen hinabblickt. Des weiteren stehen Fotografien und Collagen von elf verschiedenen Künstler*innen klar im Zentrum. Die Wände sind in pastelligem Rosa, Blau und Gelb gestrichen – das regt zum Nachdenken an, denn bei den porträtierten (Geschlechts)Identitäten ist es eben gerade nicht so naheliegend, Rosa oder Blau zuzuordnen. Von allen Künstler*innen wird je eine Werkreihe ausgestellt. Von der trans Ikone Rosalyne Blumenstein als Boticellis Venus bis hin zu einer kritischen Auseinandersetzung mit diskriminierender Sprache in «Orlando» mithilfe von abstrakten Porträtfotos ist alles dabei. Gewisse Werke wurden spezifisch für diese Ausstellung konzipiert, andere beziehen sich direkt auf den Roman, wieder ande- re passen sonst irgendwie ins Thema. Damit schafft die Ausstellung viel Platz für radikal un- terschiedliche Perspektiven – Geschlecht und Identität werden aus der Sicht einer Vielzahl unterschiedlicher Kulturen, Länder und Klassen gezeigt. Dies macht eine Vielfalt sichtbar, welche sonst selten so im Mittelpunkt steht. Ein Besuch lohnt sich!