Das Comeback eines Trendgetränks
Der Bubble-Tea-Hype ist zurück – auch an der Uni. Aber wieso genau jetzt und was hat sich verändert?
Der Schulgong läutet, sofort rase ich mit meinen bunten Chucks die Treppe herunter, um sogleich die nächste Tram Richtung Innenstadt zu erwischen. Vor dem Aussteigen noch ein kurzer Blick ins spiegelnde Fenster, ob die Justin Bieber Frisur noch sitzt, und schon finde ich mich in einer ellenlangen Schlange junger Gleichgesinnter wieder. Es ist 2012, der erste Bubble-Tea-Laden hat eröffnet.
Mein damaliger Stammladen am Rindermarkt war nur paar Meter entfernt vom Alten Peter, einem grossen Kirchturm, der zu den Wahrzeichen Münchens gehört. Diese fruchtig platzenden Bällchen umgeben von buntem zuckerreichem Sirup in durchsichtigen Plastikbechern waren der Hype des Sommers – zum Schock aller Eltern und zur Freude aller Zahnärzte und Ladenbesitzer.
Der Besuch in dem Bubble-Tea-Store wurde zum Ritual, sogar mein erstes Date nahm ich mit zum Laden und daraufhin schlenderten wir durch die Innenstadt am Alten Peter vorbei. Mittlerweile hatte die Stadt ein Schild an der Kirchenmauer aufgehängt: Das Schiessen von Bubbles durch den Strohhalm, wie Giftpfeile durch ein Blasrohr, sei strengstens verboten.
Doch so exponentiell rasant wie ein Laden nach dem anderen aus dem Boden schoss, so schnell kamen auch die Kritiken. Im August 2012 erschien ein Bericht der RWTH Aachen: Wissenschaftler hätten mehrere giftige Inhaltsstoffe in den Kugeln gefunden und warnten vor erhöhtem Krebsrisiko. Nachträglich widerlegt und vom verantwortlichen Forscher Manfred Möller revidiert, kommt die Entwarnung doch zu spät: Der Imageschaden war gesetzt – eine Verleumdungskampagne mit „schalen Beigeschmack“ wie Möller es selbst nennt – alle Läden machten dicht. Der Traum von den bunten Bubbles war geplatzt.
Taiwan will Symbol auf dem Pass
Doch all die Jahre später ist die Nachfrage heute in der Schweiz plötzlich so hoch wie nie zuvor, sodass seit neuestem selbst das Cáfe Complet der Uni Zürich den bunten Tee in sein Sortiment mit aufgenommen hat – wie kann das sein?
Zur Beantwortung muss man die Geschichte und Herkunft des bunten Tees verstehen. Alles beginnt in den 1990er Jahren mit der Popularisierung in Taiwan und der darauffolgenden schnellen Weiterverbreitung in den Vereinigten Staaten und dem gesamten asiatischen Raum. Nicht nur wurde das Getränk Mitte der 1980er in Taiwan erfunden, es avancierte über die Jahrzehnte zum Nationalgetränk der Insel.
Und auch wenn wir es uns vielleicht noch nicht bewusst sind, der Bubble Tea ist längst ein Teil der taiwanesischen Identität geworden. In den letzten Jahren wurde der 30. April dort zum «National Bubble Tea Day» gekürt. Statt zum Kaffee trinken, trifft man sich für ein Boba, wie es alternativ auch genannt wird. Das taiwanesische Aussenministerium denkt sogar darüber nach, das Design ihrer Reisepässe zu erneuern und dabei die Frontseite mit einem Bubble-Tea-Symbol zu schmücken.
Denke ich an Italien, so denke ich an Pizza. Denke ich an Bayern, so denke ich an Bier und Brezen. Gleichbedeutend ist das Getränk mittlerweile ein Synonym für Taiwan geworden. Und ähnlich wie beim Reinheitsgebot von Bier oder dem DOP-Siegel für italienischen Spezialitäten, hat der Inselstaat längst strenge Prüfverfahren und Zertifizierungen eingeführt, um einen Qualitätsstandard zu sichern.
Beliebtes Motiv in den sozialen Medien
So wuchs die Popularität stetig, seit 2020 gibt es sogar einen Emoji für Bubble Tea und mit dem Aufstieg von TikTok schwappte der Trend wieder rüber nach Westeuropa.
Im April-Mai 2021 war das Interesse für Bubble Tea in der Schweiz auf einem Rekordhoch. In Zürich öffneten viele Läden neu, um der zweiten Welle des Hypes gerecht zu werden. Doch es reicht nur ein Besuch in einem dieser Stores, um sofort einen Unterschied zu 2012 zu bemerken. Die Weltkugel hat sich in der Zeit weitergedreht: Es wird auf Qualität und nicht Quantität gesetzt, statt Farbmittel und Chemie werden authentische Tapiokaperlen verwendet. Auch kann sich kein Laden den Umweltthemen verschliessen, die in der Gastronomie und unserer Gesellschaft heute so aktuell sind wie noch nie.
So erklärt mir Tung, der Besitzer des Lokals "pao pao", im Interview den Einsatz von PLA-Bechern: Auf Basis von Maisstärke hergestellte durchsichtige Becher aus Biokunststoff, die nachhaltig und kompostierbar sind.
Die Durchsichtigkeit des Trinkbechers ist ein wichtiger Faktor beim Bubble Tea, kein Getränk sonst erreicht eine so hohe „Instagrammability“. Waren es beim ersten Hype noch Facebook und Twitter, gehört es heutzutage zum guten Ton, seinen knallbunten Tee sofort auf Instagram und TikTok zu teilen.
Tung hat seinen Laden direkt an der Tramstation Bahnhof Wiedikon eröffnet, ebenfalls im vergangenen Mai. Er erinnert sich, wie er während des ersten Hypes 2012 für guten Bubble Tea extra Tagestrips von Leipzig nach Berlin, der „Hauptstadt des Bubble Teas in Europa", unternommen habe.
Kaum verwunderlich also, dass der erste Laden von pao pao in Berlin eröffnet wurde. Doch auch in Zürich läuft es scheinbar so gut, dass im Dezember ein zweiter Store am Bahnhof Oerlikon hinzukommt.
Bubble Tea gibtʼs auch an der Uni
Während dem Gespräch mit Tung herrscht Regelbetrieb im Laden. Ich erwische mich selbst beim Raten, wie viele Meter es nach Verlassen des Ladens dauert, bis die Person ihr Smartphone zückt, um ein Bild zu machen. Die Bubble Teas von 2021 lassen sich aber auch sehen. Mittlerweile gibt es neben verschiedenfarbigen Bubbles und Geschmacksrichtungen sogar Teesorten mit unterschiedlichen Farbschichten. Das Auge trinkt eben mit. Der Kassenschlager des pao pao heisst dieses Jahr "Purple Moon Litchi": Unten weiss, oben blau - inklusive Aloe Vera, Litschi Gelee und Basilikumsamen. Im Sommer waren die fruchtigen Sorten absolut im Trend, meint Tung, mit Beginn des Herbsts steigen die meisten um auf die Milky-Bubble-Tea-Sorten um.
Ob das nicht auch nur wieder ein kurzer Hype sein wird, frage ich ihn, eine Wiederholung von 2012. Er glaubt nicht, die Läden hätten aus ihren Fehlern gelernt und setzen heute vermehrt auf direkt aus Taiwan importierte, qualitative Zutaten. Und wer weiss? Vielleicht werden in Zukunft auch herkömmliche Cafés und Restaurants 1-2 Bubble-Tea-Sorten anbieten. Das Café Complet hat es vorgemacht: Seit Ende Oktober werden im Hauptgebäude der Uni Zürich verschiedenste Variationen des bunten Tees verkauft. Selbstverständlich mit wiederverwendbaren Bechern und keinen Plastik-Strohhalmen. Auf diese wird verzichtet, um stattdessen auf nachhaltige Strohhalme aus Papier zu setzen. Bisher ist aber ungeklärt, ob sie sich ebenso als Blasrohr eignen…