Ein Jahr in Büchern

Germanistik-Studierende erproben auf der Plattform «Schweizer Buchjahr» das feuilletonistische Handwerk. Für die ZS werfen sie fünf Schlaglichter auf den Bücherherbst 2016.

5. Dezember 2016

Schlechte Nachrichten

Gute Unterhaltungsliteratur macht süchtig. Obwohl oder gerade weil ihre Welten schablonenhaft sind. Entsprechend schnell vergisst man sie wieder. Im schlimmsten Fall aber wird man beim Lesen nicht einmal unterhalten – so wie im misslungenen Medienroman «Bad News» des Zürcher Journalisten Bruno Ziauddin.

Die aktuellen Themen der medialen Stimmungsmache und des religiösen Fanatismus verdreht Ziauddin zur Parallelgeschichte eines jungen Journalisten und eines halbstarken Bosniers. Während der Eine mit dem Rechtsruck seiner Wochenzeitung unter dem diabolischen neuen Chefredaktor zu kämpfen hat, gerät der Andere in den Sog muslimischer Fundamentalisten. Beide Stränge finden zusammen, als der Chefredaktor zum Ziel eines Attentats wird. Das schlägt ebenso fehl wie Ziauddins Roman, der ein politischer sein will und doch weder eine literarische Analyse noch eine satirische Durchdringung des Themas schafft. Von der attackierten «Weltwoche» ist der Roman sprachlich und kompositorisch damit leider nicht allzu weit entfernt. [Sebastian Ryser]

Bruno Ziauddin: Bad News, Nagel und

Kimche 2016

Wahre Lügen

In ihrem Roman «Lügen von gestern und heute» verdichtet Ursula Fricker die aktuelle Flüchtlingsdebatte in drei Figuren: Isa sieht dank ihrem Einsatz für Flüchtlinge endlich einen Sinn in ihrer tristen Existenz. Im Vordergrund stehen aber nicht die Flüchtlinge, sondern ihre Sehnsucht nach Anerkennung. Wie weit geht sie, um der Bedeutungslosigkeit zu entkommen? Ist sie bereit, den populistischen Politiker Otten zu töten? Für Otten ist die lebensbedrohliche Situation kaum auszuhalten. Ablenkung findet er bei einem Jazzkonzert, wo ihn ausgerechnet das Klavierspiel einer geflüchteten Frau verzaubert. Trotz Talent bleibt diese in der Prostitution gefangen und kann sich genauso wie Otten und Isa nicht aus ihrer aufgezwungenen Lebenswelt befreien.

Obwohl die Ausgangslage vielversprechend ist, verzettelt sich Frickers Roman im Klischee, vermag aber die wunden Punkte der aktuellen Flüchtlingsdebatte kenntlich zu machen. Damit lässt sie leider am Ende die Lesenden zu sehr alleine. [Maja Sidler]

Ursula Fricker: Lügen von gestern und heute, dtv 2016

Gehen oder bleiben?

Ein kühler Sommerabend. Eben aus dem Urlaub zurückgekehrt, sitzen Thomas und Astrid auf einer Bank im Garten vor ihrem Haus. Als Thomas für einen Augenblick alleine ist, trifft er völlig unvorbereitet eine Entscheidung: Er steht auf, tritt auf die Strasse und geht.

Peter Stamms neuester Roman «Weit über das Land» stellt einen vor Rätsel. Obwohl die Sache eigentlich klar scheint: Thomas haut ab, Astrid bleibt mit den Kindern daheim. Doch schon bald tauchen beide Figuren im Umfeld der jeweils anderen auf. Was ist real, was Gedankenspiel? So werden immer wieder neue Situationen herbeierzählt, frei nach Max Frischs Motto: «Jedermann erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält.» Die Lust am Entwirren der Stränge macht das Buch absolut lesenswert. Wo sich diese nicht einstellen will, kann «Weit über das Land» leider auch etwas leer und trostlos wirken. [Noemi Schai]

Peter Stamm: Weit über das Land, S. Fischer 2016

Touristen auf Träumejagd

Sibylle Berg lässt in ihrem neuen Buch nichts aus. Es geht auf Kreuzfahrt, im Oriental Express durch Thailand, in ein Hippie-Dorf und zu den Goldschürfern nach Brasilien. Jede der 19 Geschichten in «Wunderbare Jahre. Als wir noch die Welt bereisten» braucht nur wenige Seiten. Geboten wird solide Unterhaltung, Ferienidylle sucht man jedoch vergeblich. Terror und Gewalt lauern überall.

Oder doch nicht? Die gut gemeinte Gesellschaftskritik entpuppt sich eher als Geplänkel einer nicht mehr ganz jungen Frau. Ganz nach dem Motto: «Früher war alles besser.» Schade, das Thema Tourismus und Terrorismus hätte viele Möglichkeiten geboten. So dominieren letztlich platte Schlussfolgerungen, deren Tiefpunkt die folgende Einsicht markiert: «Doch glaubt mir, wir werden es nie mehr finden, das Gefühl unserer ersten Italienreise.» – Das freilich hätten wir auch ohne die Reisenotizen der Wahlzürcherin geahnt, oder? [Rahel Hochstrasser]

Sibylle Berg: Wunderbare Jahre. Als wir noch die Welt bereisten, Hanser 2016

Identität des Glücks

Wo liegt das Glück von zwei erzählten Welten und wie finden zwei Menschen dadurch zueinander? Catalin Dorian Florescus Roman «Der Mann, der das Glück bringt» sucht Antworten auf einer Reise durch zwei zeitlich und räumlich getrennte Welten, die ihn einerseits zu den Flüssen und Strassen New Yorks an der Schwelle vom 20. zum 21. Jahrhundert und andererseits vom Bilder- und Sagenreichtum Rumäniens in die Zukunft führt. Zwei Schicksale verbinden sich dabei zunehmend: Während Rays Geschichte in New York beginnt, führt Elenas Geschichte die Lesenden ins rumänische Donaudelta vergangener Zeiten. Den neuen Roman des Buchpreisträgers von 2011 legt man ungern aus der Hand. Gelungen sind die erzählerische Doppelperspektive und die stilistische Klarheit, die mit einem genauen Blick auf das Leben einfacher Leute inmitten einer turbulenten Welt begeistert und bereichert. [Illa Spiekerman]

Catalin Dorian Florescu: Der Mann, der das Glück bringt, C.H. Beck 2016

Schweizer Buchjahr

Am 1.1.2017 geht das «Schweizer Buchjahr» online, die neue Plattform für Literatur- und Diskurskritik. Bereits jetzt werden Glanz und Elend der Schweizer Literaturszene auf www.buchjahr.uzh.ch kritisch und unabhängig begleitet. Viele der Texte werden von Studierenden des Deutschen Seminars der UZH verfasst. Im Rahmen des gleichnamigen Master-Seminars von Philipp Theisohn und Christoph Steier können sie sich hier in Kooperation mit renommierten Medienpartnern kulturjournalistisch versuchen.

Literaturclub «FÜNF/16»

Live zu erleben ist das Buchjahr-Team mit seinem Literaturclub am 16.12. um 19.30 Uhr im Zentrum Karl der Grosse in Zürich.