Mutproben und Liebeswirren: Les Combattants. Filmcoopi

«Eine Mischung zwischen Casablanca und Rambo 3»

Das Erstlingswerk des französischen Regisseurs Thomas Cailley «Les Combattants» kommt heute in die Kinos. Im Gespräch mit der ZS erzählt er, was für ihn Romantik bedeutet und weshalb er für seinen Film ins Militär musste.

16. April 2015

Thomas Cailley, «Les Combattants» ist Dein erster Film, der seit der Premiere in Frankreich sehr gut ankommt und schon mehrere wichtige Filmpreise gewonnen hat. Wie kannst Du dir sich diesen Erfolg erklären?

Es war nicht nur mein erster Film, sondern auch das Debüt von praktisch allen anderen Beteiligten – abgesehen von Adèle Haenel, die schon mehr Erfahrung mitbrachte. Der Film wird von dieser rohen, ehrlichen Energie getragen und vermittelt dieses ‚pure’ Gefühl. Es gibt wenige Filme über die Jugend, die von Jugendlichen selbst produziert wurden. Meistens ist die Perspektive auf die Jugend furchtbar. Die Jugendlichen der jungen Generation werden als traumlose Egoisten dargestellt, ohne Eigeninitiative, immer apathisch am Handy. Ich denke, der Erfolg von ‚Les Combattants’ lässt sich vielleicht damit erklären, dass die Leute überrascht sind von der wahrheitsgetreuen Porträtierung der Jugendlichen, denn meiner Meinung nach ist diese Generation eine, die viel ausprobiert, viel einsteckt, und Träume hat, für die sie bereit ist zu kämpfen.

Der Film wird in das Genre der romantischen Komödie eingeordnet. Allerdings sind die Persönlichkeiten und die Handlung sehr atypisch für eine klassische romantische Komödie. Warum hast Du die Personen so gestaltet?

Warum ich eine romantische Komödie machen wollte, kann ich nicht sagen. Ich hatte einfach Lust dazu, kannte das Genre aber nicht wirklich. Ich habe viel Reality TV geschaut, besonders eine Sendung hat mich sehr inspiriert, sie heisst ‚Man vs. Wild’. Dort werden die Protagonisten irgendwo in der Wildnis ausgesetzt und müssen sich dann durchkämpfen. Der starke Überlebenssinn und die Zurschaustellung der existentiellen Ängste gaben mir Ansporn, diesen Film zu drehen. Man könnte also sagen, dass ‚Les Combattants’ eine Mischung zwischen Casablanca und Rambo 3 ist.

Was macht für Dich Romantik aus?

Es braucht Distanz und Unterschiede. Die Romantik im Film ist eher ein Pakt, den Madeleine und Arnaud schliessen, als Liebe auf den ersten Blick. Die Frage, die sich stellt, ist was man zusammen machen möchte. Wenn es Differenzen gibt, wie man diese zusammen lösen kann. Und ob diese Lösungen, die man zusammen findet, effizienter sind als diejenigen, die man für sich alleine findet. Ich glaube sehr stark an genau das. Wenn das, was man zusammen hat, nicht stärker ist als die einzelnen Komponenten, dann bringt eine Beziehung nichts.

Wie hast Du die Schauspieler gecastet?

Normalerweise muss man bei einem Casting eine kurze Sequenz vorspielen, wir aber stellten den Anwärterinnen die Aufgabe, eine Situation zu schildern, bei der sie fliehen wollten. Die jungen Frauen erzählten von Jobcastings oder Dates, Adèle aber sagte zu uns, dass sie die Frage nicht verstehe, denn wenn sie darüber nachdenke, fliehen zu wollen, sei sie ja schon in einer gewissen Art geflohen. Das hat mich sehr verblüfft, weil es so heruntergebrochen und wahr ist. Für uns war dann klar, dass Adèle die Rolle hat.

Für Arnaud hatten wir keine bestimmte Person vorgesehen. Wir haben Massencastings durchgeführt, da geht man an Schulen und Universitäten, aber steht auch an Metrostationen rum und schaut sich die Leute an, ein bisschen wie ein Perverser (lacht). Kévin Azaïs haben wir so kennengelernt, und zuerst eine Nebenrolle an ihn vergeben. Später fiel mir aber auf, dass ich bei ihm etwas sehr Wichtiges übersehen hatte. Kévin drückt sehr viel mit seinem Blick aus, und das passte so gut zum Charakter von Arnaud, so dass wir daraufhin Kévin die Hauptrolle angeboten haben.

Die Komik im Film wird nicht durch Slapstick oder Witze erzeugt, sondern oft durch Situationskomik und die unverblümte Wahrheit, die ausgesprochen wird und überrascht. Wie erreicht man das?

Was mich interessiert, ist die Personen so zu lassen, wie sie sind und dadurch, dass sie sich nicht ändern, werden sie verstanden und gemocht vom Publikum. Es ist doch eigentlich in jedem Film so, dass man die Personen am Anfang vor ein Problem stellt, dass sie dann im Laufe der Handlung lösen. Am Ende sind sie also geheilt, und wieder ‚normal’, weswegen praktisch kein Ende wirklich erfüllend ist für die Zuschauer. Die Verrücktheit von Madeleine beispielsweise finde ich super interessant, ich möchte nicht, dass sie sich ändert, sie sollte so spannend bleiben, wie sie von Anfang an war.

Welche Momente sieht man im Film, die während den Dreharbeiten nicht so vorgesehen waren? Wie bist Du damit umgegangen?

Die Szene in der Tankstelle zum Beispiel, da haben wir in der Nacht gedreht, alle waren schon schon todmüde nach einem anstrengenden Tag. Die Szene beginnt ja sehr lustig und absurd, als Madeleine mit dem Maschinengewehr unter der Schulter einfach so reinläuft, wendet sich dann aber schnell zu einem sehr emotionalen Moment mit dem Hund, dieser Moment ist nicht einfach zu drehen. Es kommen viele Tiere in dem Film vor, wir hatten einen Tierpfleger für die Tiere, ich weiss nicht, was da passiert ist, jedenfalls waren alle Tiere, die er uns brachte, schläfrig und träge. Wir waren also am Set mit einem depressiven Hund, der eigentlich Knurren und Angst machen sollte, aber es klappte einfach nicht, der Hund war traurig. ‚Die Szene können wir streichen’, dachte ich mir. Adèle verstand die Szene überhaupt nicht und fand es dumm, mit einem Hund sprechen zu müssen. Beide, der Hund sowie auch Adèle waren dann überrascht von dem, was passierte, denn sie näherten sich an und es entstand eine aufrichtige Intimität, die man nicht planen kann. Wenn so etwas passiert, ist es super, dann muss man die Schauspieler einfach machen lassen.

Was für eine Rolle spielt das Militär in ihrem Film? Ist es realistisch dargestellt oder wolltest Du den Drill überzeichnen?

Nein, das ist schon realistisch so. Ich musste diesen Vorkurs, für den Madeleine und Arnaud sich anmelden, selbst absolvieren. Eigentlich wollte ich dort nur reinschauen, aber mein Produzent schlug vor, das Ganze selbst mitzumachen. Ich wollte nicht, aber er sagte: ‚Ich bezahle den Film, also gehst du ins Militär’. Und dann musste ich halt. Die Dinge, die man im Film sieht, gehören noch zu den Harmloseren. Es ist wirklich anstrengend, physisch und psychisch. Das Militär ist in den letzten paar Jahrzenten in Frankreich zu einem regelrechten Unternehmen geworden. Sie gehen mit diesen Lastwagen wirklich an die Strände im Sommer und werben junge Leute an, so wie man das im Film sieht. Was ich spannend daran finde, ist dass sie mit dem Slogan ‚devenir soi-même’ (sich selbst finden, ‚werde du selbst’) werben, was ich sehr ironisch finde, da es im Militär ja wirklich nicht um die Person selbst geht, sondern um das grosse Ganze und man sich diesem Drill unterordnen muss. Der Slogan ist auch sehr anwendbar für ‚Les Combattants’, man könnte sagen, dass es eigentlich das Thema des Filmes ist. Wer bin ich? Wer möchte ich sein?

Hattest Du Schlüsselmomente in Deinem Leben, die Dich dazu bewogen haben, diesen Film zu drehen?

Ich bin in der Region, in der ‚Les Combattants’ spielt, aufgewachsen, als ich also im Schreibprozess des Skriptes war, bin ich dorthin zurückgekehrt und natürlich habe ich mich an viele Dinge aus meiner Kindheit erinnert. Die Natur in Les Landes ist sehr speziell, das grösste zusammenhängende Waldgebiet Westeuropas befindet sich dort. Als Kind kam mir die Landschaft immer als mächtig und unendlich vor. Viele Bäume sind aber kaputt, es gibt viele Gewitter und Waldbrände. Die beiden Hauptcharaktere und ihre Beziehung sind von diesem Phänomen beeinflusst. Arnaud ist der Wald, er ist tief verwurzelt und geerdet in seinem Umfeld, während Madeleine den Sturm und das Feuer verkörpert, sie entgegnet der Aussenwelt mit einer unglaublichen Energie und wirbelt auf.

Wie ist es dazu gekommen, dass Du Filme machen wolltest? Ich habe gelesen, dass Du an der SciencesPo studiert hast, wieso der Karrierewechsel?

Nach der SciencesPo habe ich viel mit Medien gearbeitet, Kommunikation und so. Das hat mich alles sehr gelangweilt, also hab ich angefangen zu schreiben und aufgehört zu arbeiten. Es gibt eine Filmschule, La Fémis, dort hab ich mich eingeschrieben und so nahm alles seinen Lauf. In Frankreich bekommt man relativ einfach die Mittel, um einen ersten Film zu machen. Das Problem ist dann der zweite Film, für welchen es dann oft sehr viel schwieriger ist. Aber natürlich hilft es, wenn das Debüt so gut funktioniert, da hab ich wirklich grosses Glück.

Hast Du denn schon einen zweiten Film im Visier?

Ja, ich schreibe gerade an etwas, aber darüber spreche ich nicht sehr viel (lacht).

Zum Film:

Mit Freunden abhängen, im Familienbetrieb jobben: Arnaud nimmt die Dinge locker, ihm steht ein friedlicher Sommer bevor. Als er die so schöne wie kratzbürstige Madeleine kennenlernt, ist’s jedoch vorbei mit seiner Ruhe.

Thomas Cailleys Film wurde nach Cannes eingeladen und hat dort vier Preise gewonnen. Ausserdem wurde er mit drei Césars, dem bedeutendsten Filmpreis Frankreichs, ausgezeichnet.

«Les Combattants» (Verleih: Filmcoopi) von Thomas Cailley mit Adèle Haenel und Kevin Azaïs. FR 2014.

Ab 16. April im Kino Riffraff.