Das Punkte-Aufwand-Verhältnis: Kein einheitliches Mass. Eva Lanter

Punkt ist nicht gleich Punkt

Die Einheitswäh­rung ECTS wird je nach Studiengang zu anderen Kursen gehandelt.

26. März 2015

Manuel reibt sich seine übermüdeten Augen. Es ist 20 Uhr, das Licht in dem Uni-Arbeitsraum schummrig. Er ist seit 14 Stunden wach. Nachdem der Biologie-Student mehrere Stunden für ein Praktikum im Labor verbracht hat, soll er für morgen unbedingt eine Übung erarbeiten. Gestern Abend ging das leider nicht, weil er zweimal pro Woche in einem Restaurant jobbt.

So wie Manuel geht es täglich Hunderten von Studierenden, die es sich nicht leisten können oder wollen, Vollzeit zu studieren. Für ein Sechs-Punkte-Modul muss der Biologe wöchentlich vier Vorlesungsstunden besuchen, 20 Stunden pro Semester im Labor stehen, dazugehörige Berichte verfassen und schliesslich eine Prüfung schreiben.

Warum Punkte?

Studienleistungen werden an europäischen Universitäten mit Kreditpunkten nach dem ECTS (European Credit Transfer and Accumulation System) gemessen. Ein ECTS-Punkt sollte einem Arbeitsaufwand von 30 Stunden entsprechen. Wenn man die regulären 30 Punkte pro Semester einhält, ergibt das auf die Vorlesungszeit berechnet einen durchschnittlichen Arbeitsaufwand von 64 Stunden in der Woche. Die Punkte waren ursprünglich als Währungseinheit gedacht, um universitäre Leistungen europaweit vergleichbar zu machen. Wenn man von Kreditpunkten redet, denken Studierende allerdings nicht als Erstes an einen Austausch mit einer anderen Universität, sondern an den Aufwand, der sie dafür erwartet.

Unterschiedlicher Aufwand

Laura trifft sich jeden Abend mit ihren Freundinnen zum Biertrinken. Obwohl sie eine 20-Prozent-Stelle hat, schafft sie die 30 Kreditpunkte im Semester locker. Die Politologiestudentin fühlt sich erst am Ende des Semesters gestresst, wenn alle Prüfungen und Abgabetermine auf die gleiche Woche fallen. Im ersten Jahr erhielt sie für jedes der sechs Assessmentfächer, welche zwei Stunden Vorlesung sowie eine Prüfung voraussetzen, die gleichen sechs Kreditpunkte wie Manuel.

Allerdings fallen nicht bloss zwischen den Fakultäten kuriose Ungleichheiten auf. Auch innerhalb einer Studienrichtung ist die Verteilung der Kreditpunkte nicht immer nachvollziehbar. So wird Laura für ihre Bachelorarbeit ebenfalls sechs ECTS erhalten. «Die Arbeit ist viel mehr Aufwand als die zwei Stunden Vorlesung pro Woche», findet Laura.

«Den notwendigen Arbeitsaufwand für die verschiedenen Module festzulegen, ist für die Dozierenden und die Studiengangleitungen sehr schwierig», erklärt Andreas H. Jucker, Dekan der Philosophischen Fakultät. Faktisch bestimmt die Studienleitung, welches Modul wie viele Punkte gibt. Dabei geht es darum, wie sie das Programm irgendwie in ECTS-Punkte aufteilen können. Die Vergleichbarkeit mit anderen europäischen Unis scheint dabei in der Realität eher in den Hintergrund zu rücken. Jucker bestätigt, dass es nicht zu vermeiden sei, dass gefühlte oder reale Unterschiede im Aufwand für verschiedene Module auftreten. «Wenn man das Wertesystem auf die einzelnen Lehrveranstaltungen aufteilt, ergibt sich eine annähernde Vergleichbarkeit von Dingen, die man eigentlich gar nicht vergleichen kann», räumt der Dekan ein.

Längeres Studium

Da Manuels Studium einen starren Lehrplan voraussetzt, kann er keine Module mit weniger Aufwand wählen. Er kann lediglich selber bestimmen, wie lange er studieren möchte. So entscheidet er sich gegen die Regelstudienzeit von sechs Semestern à je 30 ECTS und wird länger, dafür weniger gestresst studieren.