Auf dieser Karte liegt die Hauptstadt der Schweiz am Genfersee und heisst Prag. Lukas Messmer

Wo Prag die Schweizer Hauptstadt ist

Die National University of Laos ist eher eine Schule denn eine Universität. Ein Augenschein mit dem Geographiestudenten Khone Keodaoungsinh.

19. Februar 2013

Der Töff rattert und ruckelt über die Schlaglöcher. Die Uni ist eine halbe Stunde vom Stadtzentrum entfernt. Ein zehn Meter breites Schild kündigt mit goldenen Lettern den Campus an. Auf der anderen Strassenseite buhlen Essensstände um die Studierenden, die sich hier billig verpflegen: gebratene Fische aus dem Mekong, Hühnerbeine und Nudelsuppen.

Der Campus selbst ist eine kleine Stadt. Die Sonne brennt, die Studentinnen schützen sich mit Schirmchen oder Schulheften – alle wollen so weiss wie möglich bleiben. Alles ist breit und flach: ob Parkplätze, Mensa oder Studentenladen. Kein Gebäude hat mehr als vier Stockwerke. In die Höhe zu bauen, bringt keine Vorteile und ist teuer. Während die Uni Zürich um jeden Quadratmeter kämpfen muss, gibt es hier Platz, soweit das Auge reicht.

Khone Keodaoungsinh wartet vor der Faculty of Social Sciences. Er kommt ursprünglich aus Savannakhét im Süden. Seine Eltern sind Reisbauern. Nach der Highschool war er einer von drei Schülern, die in die Hauptstadt zogen. Er lebte vier Jahre als Mönch im Vat Mixay. «Ich wusste nicht, wohin nach der Highschool», sagt er. Im Tempel konnte er Englisch lernen, ohne etwas bezahlen zu müssen.

Seit vier Jahren studiert er nun bereits Geographie an der National University of Laos (NUoL), Schwerpunkt Geoinformationssysteme. Er ist ein schmächtiger Mann von 25 Jahren und trägt schwarze Anzughosen, ein blütenweisses Hemd und eine blaue Krawatte – wie alle hier, Uniform ist Pflicht. Individualität zeigen die Studis nur über Accessoires wie Taschen oder Telefone.

Arbeiten von 20 Uhr bis 8

Das Institut erinnert eher an eine Sekundarschule mit Klassenzimmern als an eine Hochschule. In der Bibliothek stehen zwei Gestelle mit Büchern, brandneu – als hätte sie noch nie jemand angeschaut. Auf der Karte an der Wand existiert die Sowjetunion immer noch, die Hauptstadt der Schweiz ist «Prag» und liegt am Genfersee.

Khone ist müde. Alle fünf Minuten schiebt er seine Brille die Nase hoch. Um das Studium zu finanzieren, arbeitet er jede Nacht von 20 Uhr bis 8 Uhr in einem Guesthouse (für 80 Franken im Monat). Zweimal die Woche verkauft er für drei Stunden Lotto Lose (für 40 Franken im Monat). Er schläft oft im Unterricht, der jeden Tag von 8 bis 12 Uhr stattfindet. «My brain empty because I always wake up», radebrecht er in seinem Englisch, das einen schmunzeln lässt.

Die Semestergebühren unterscheiden sich je nach Fach. Geographie kostet 70 Franken im Jahr, Business Administration 230 Franken. Das sieht man auch: Bei der Faculty of Letters sind hunderte Motorbikes abgestellt, bei der Faculty of Business Administration sind hunderte Pickups parkiert. Die Kinder der Reichen studieren Betriebswirtschaft, weil sie es sich leisten können. Es gibt keine Unterstützung für Arme, nur für jene mit besonders guten Noten.

Über 25‘000 Studierende sind hier eingeschrieben. Die NUoL existiert seit 1996, als die Regierung verschiedene Hochschulen zusammenlegte. Im ersten Jahr studieren an einer Fakultät alle denselben Stoff. Dann entscheidet eine grosse Prüfung über den Studiengang. «Ich habe Umweltwissenschaften angekreuzt», sagt Khone. Bekommen hat er Geographie. Wieso? «Ich weiss es nicht».

Er weiss auch nicht, wie er es herausfinden könnte. Informationen sind in Laos Luxus. Als Beispiel dient die Website der NUoL: Wenn die Seite überhaupt funktioniert, ist sie mit Endlostexten wie «wait contents, wait contents» gefüllt.

Gemüseanbau im Studiwohnheim

Für Studierende, die aus den Provinzen hierher kommen, bietet die Uni eigentlich Studentenwohnheime an. Sie stehen auf dem Campus in zwei Qualitäten: Erstens alte, abgewrackte Baracken für 30 Franken im Jahr. Kleider hängen dort aus den Fenstern. Gemüsegärten säumen Wege, und im Garten sitzen Studentinnen und schnetzeln rohe Papayas – die Stimmung eines laotischen Dorfs. Zweitens gibt es riesige, gelbe Wohnheime, die ein wenig an Sowjetzeiten erinnern. Die Vietnamesen bauten sie für die Sportler der Asean University Games 2012. Hier können Studierende nun für 80 Franken im Jahr wohnen. Khone selbst lebt aber mit einem Freund in einer Wohnung in der Stadt. Sein Zimmer kostet 26 Franken im Monat. Er muss ja jeden Abend arbeiten. «Hier wird um 22 Uhr alles geschlossen.»

Im Juli schliesst er die Uni ab. Seine Abschlussarbeit schreibt er über die Struktur des Biogemüse-Anbaus von 82 Haushalten in einem nahen Distrikt. Zur Zeit hat er im Durchschnitt ein «D» auf einer Skala von A bis F. «I have to become better», sagt Khone, «but the Curriculum not good, teachers not good, methods not good.» Er wünscht sich mehr Diskussionen, Fragen und Eigeninitiative im Klassenzimmer.

Der Standard ist pickelharter Frontalunterricht. So etwas wie Kolloquien oder Seminare existiert kaum. Fragen stellt fast niemand. Das Englisch Niveau ist tiefer als an einem Schweizer Gymnasium. Studenten mit einem Bachelor sprechen kaum ein Wort.

So schaut Khone abends Youtube-Videos über die Bedienung von GIS-Programmen von amerikanischen Unis und hofft, einen Job bei einer NGO oder einer der grossen Minen zu ergattern.