Eine weitverbreitete Angst: Clowns. Philipp Ottendörfer

«Wo bleibt die Angst?»

Versprochen wurde irgendwas mit Zombies. Geboten wurde viel mehr. Die Jugendgruppe u21 des Theaters Neumarkt lud zur alljährlichen Präsentation ihres Schaffens – ein Rückblick.

22. Mai 2012

«Die Realität war doch immer dahinten.» Dahinten, das ist auf der Bühne, abseits des eigentlichen Geschehens, abgetrennt durch weisse Schaumfolie, auf welcher ebendiese realen Ereignisse mit wackligen Kameras projiziert werden. Und vor der Bühne, umringt von den Zuschauern, da spielt sich offenbar die Fiktion ab. Dass die Trennung dieses beliebten motivischen Paars nicht derart strikt ist, dürfte allen klar sein; etwas anderes ist bei einem Stück mit Zombies auch nicht zu erwarten. Doch «beginnen wir ganz am Anfang».

Vier englische Romantiker und ein Tollpatsch

Die Geschichte beginnt im frühen 19. Jahrhundert, bei den englischen Romantikern, die sich ihre Zeit gerne mit Wein, Totenköpfen und Alchemie vertreiben. Lord Byron, dessen Reisebegleiter und Leibarzt John Polidori sowie das Ehepaar Percy und Mary Shelly verweilen am Genfersee und experimentieren herum, versuchen, tote Materie zum Leben zu erwecken (launig eingeführt von einem live kommentierten Intro-Film). Derweil hantiert vor der Schaumfolie ein Tollpatsch an der Elektrik und die Sicherungen fliegen raus, worauf ein armer lieber Kerl sich anbietet, den Sicherungskasten aufzusuchen. Alleine. Im Dunkeln. Dahinten. Realität und Fiktion beginnen sich zu vermengen und seinen Lauf nimmt das Unheil, als der Unhold Frankensteins Sarg entsteigt. Die alchemistischen Versuche scheinen gefruchtet und im armen lieben Kerl ihr Opfer gefunden zu haben.

Was dann folgt, ist wahrlich ein Feuerwerk an klug eingebetteten Zitaten, die mitunter zu urkomischen Momenten führen. So zum Beispiel, als eine zeitgenössische Familie vor der Schaumfolie während des Frühstücks, das sie aus übergrossem Papp-Geschirr zu sich nehmen, unverhofften Besuch von der illustren Autorentruppe aus der Vergangenheit bekommen. Zum Frühstück eingeladen, nehmen die vier Zeitreisenden nun peinlich berührt auf den Knien der heimischen Familie Platz und ganz unvermittelt findet man sich in einem Loriot-Sketch um ein weiches Ei wieder.

Danach treten Frankensteins Monster (mit einem der «putzigen Menschen» liiert), Nietzsche und Darwin auf, sagen, was sie zu sagen haben, und treten wieder ab. Steve Jobs präsentiert seine iPhone-Siri und muss in Kubrick’scher Manier feststellen, wie er allegorisch die Kontrolle über seine Maschine verloren hat.

Und im Zentrum steht die Angst

«Wo bleibt die Angst?», lautete die zentrale Frage des Abends. Wo bleibt die Angst vor der Pest, vor Vogel-, Schweine- und Magen-Darm-Grippe, vor Hunger und Zombies? Trockene wissenschaftliche Abhandlungen wurden herrlich deplaciert runtergeraspelt, von Amygdala, Hypophyse und Sympathikus gesprochen, um dann doch wieder vor die Frage gestellt zu werden: Kann man Angst aufschieben? Kann man Angst sparen und sie dann gänzlich, mit einem Mal haben? Im Kontext von Kubricks bzw. Jobs’ Computer muss diese Frage wohl bejaht werden. Anders ist das bedingungslose Vertrauen in die Technik fast nicht zu erklären. Und wenn einem die Angst dann überkommt und die Situation ausweglos erscheint, so greife man einfach zum Laserschwert.

Der ironische posthum(an)e Weltentwurf der Neumarkt-u21 findet seinen versöhnlichen Abschluss in einem Videoclip, der die von Zombies heimgesuchte Zürcher Bahnhofstrasse am samstäglichen Shoppingnachmittag zeigt, während parallel dazu ebenjene Zombies auf das Publikum zutorkeln und im Anschluss mit den Zuschauern zu «Staying Alive» tanzen (was unter den gegebenen Umständen nun fast schon zynisch anmutet).

Wer da auf einen gesetzten Theaterabend mit Star-Ensemble gehofft hatte, musste wohl bitter enttäuscht worden sein. Obwohl die ambitionierte Jungmannschaft des Neumarkts mit seiner soliden und bisweilen sogar brillanten Leistung überzeugte. So konnte «Irgendwas mit Zombies» die Erwartungen nicht nur im Hinblick auf den Titel mehr als erfüllen.

«Irgendwas mit Zombies», die diesjährige Produktion der Jugendtheatergruppe u21 des Theaters Neumarkt unter der Regie von Daniel Lerch und Julia Reichert, wurde vom 19. bis 21. Mai aufgeführt.