Treppen sind für ZS-Redaktor David Hunziker unüberwindbare Hindernisse. Samuel Thoma

Ein Tag auf Rädern

Für einmal die Beine gegen die Räder eines Rollstuhls tauschen: Ein ZS-Redaktor rollt durch die Uni. Und erkennt die Sinnlosigkeit dieser Versuchsanordnung.

25. März 2009

Ich stelle mir vor: Dreizehn Semester an der Uni und das Hauptgebäude noch nie durch den Haupteingang betreten. Treppenstufen und Rollstühle vertragen sich nicht. So befindet sich seitlich am Gebäude angebracht ein Eingang, der mit einer Rampe versehen ist. Auf dieser Rampe stehe ich nun, um neun Uhr morgens. Ich blicke auf den aufgeklappten Rollstuhl und schliesse einen Pakt mit mir selbst: Du setzt heute keinen Fuss auf den Boden, bis du den Rollstuhl irgendwann wieder abgibst!

Alle sind so freundlich!

Wie ich mich in den Rollstuhl setze, kommt mein Experiment ins Rollen. Mein Experiment mit dem Ziel... Welches Ziel hat diese Aktion eigentlich? – Die Antwort bleibt aus. Ich fahre durch die automatische Schiebetüre – gebäudeplanerisch durchdacht – und in den Lift. Auf dem Gang befinden sich erst wenige Leute, drei Personen im Lift. Sie treten sofort zur Seite, was nicht anders zu erwarten war. Noch etwas unbeholfen stosse ich beim Hineinfahren an die Wand. Ob sie Verdacht schöpfen? Nein, das wäre undenkbar. Niemand erwartet eine Täuschung von solcher Dreistheit. Für mich muss mein journalistischer Auftrag als Rechtfertigung ausreichen.

Stockwerk G. Hier oben kann ich ungesehen einige Proberunden drehen. Der Boden ist glatt, die Räder laufen gut. Darf ich – moralisch gesehen – Spass daran haben, mit einem Rollstuhl umherzufahren?

Zeit für Kaffee! Also wieder zum Lift, eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Beim Rondell überrascht mich ein unerwartetes Problem: Wie bewegt man den Rollstuhl geradeaus und hält gleichzeitig die Kaffeetasse fest? Eine ältere Dame bietet mir Hilfe an. Ich lehne dankend ab und schaffe es irgendwie bis zum nächsten Tisch. Soviel lässt sich bis jetzt sagen: Die Leute sind auffallend freundlich. Dann: Zwei Mitstudenten kommen um die Ecke gebogen und fragen, was denn los sei. Das ständige Erklären ist etwas vom Mühsamsten.

Die Illusion muss bestehen bleiben

Kein Uni-Tag ohne Vorlesungsbesuch: Hörsaal KOL-F-101 ist für Rollstuhlfahrer ideal. Während ich so dasitze und die russische Geschichte an mir vorbeizieht, machen sich Schmerzen in den Beinen bemerkbar. Bloss nicht bewegen, die Illusion muss bestehen bleiben. Ironie? Die Funktionsfähigkeit der Beine wird zur Qual.

Draussen treffe ich auf drei Typen, die mich kennen. Einer erklärt mein Experiment für sinnlos, da mir die psychologische Seite der Erfahrung abgehe. Ich gebe ihm Recht. Was ich hier tue, kommt nicht einer Rekonstruktion, sondern vielmehr der völligen Neukonstruktion einer Erfahrung gleich. Die Hilfsbedürftigkeit ist vorgespielt, der Respekt der anderen Leute gestohlen. Langsam schlägt die Sache aufs Gemüt!

Ich muss das Scheitern des Experiments eingestehen. Es kann mich nichts über die Erlebniswelt eines Menschen mit einer Gehbehinderung lehren. Raus hier! – Aber durch den Haupteingang.