Philemon und Baucis

Dennis Gansel, 2008

19. Mai 2008

Fast hätte ich den alten Blinden von Gegenüber nicht gesehen. Wir sassen auf meinem Balkon und redeten über Trennungsschmerz. Wie man das halt so macht. Rotwein auf, Zigarette an und dann das Pathos des Verlassenen zelebrieren. Lebenserfahrung war nie schöner. Deshalb rechneten wir uns die Zeit vor. Zwei Jahre bei Lynn. Eins bei Karla. Drei Monate bei David. Der Blinde jedenfalls schnitt derweil mit der Gartenschere in aller Ruhe seine Hecke. Korrigierte da ein Ästchen, dort ein Blättchen. Manchmal fuhr er mit der Hand langsam über das Gesträuch um die Sauberkeit seiner Arbeit zu prüfen. Wir tranken weiter und irgendwann begann David natürlich vom Vögeln zu reden, jetzt, wo er die süsse Freiheit des Alleinseins wieder kosten dürfe.

Gegenüber hatte das Schnappen der Schere aufgehört. Der alte Blinde stand da und wartete stumm auf den Arm seiner Frau, die in der Zwischenzeit ebenfalls in den Garten gekommen war. Sie berührte ihn zärtlich, nahm ihm sein Schneidegerät mit einem liebevollen Blick auf die Hecke aus der Hand und führte ihn zurück ins Haus. Eine ruhige Liebe. Philemon und Baucis. David redete noch immer, weil er an diesem Abend wusste, was all die Frauen wollten, die am Bartresen irgendeines Mistklubs auf ihn warteten. Lynn lachte schrill, Karla schrieb eine SMS an ihren Ex-Freund. Wie gesagt, ich hätte den alten Blinden fast nicht gesehen. Lebenserfahrung war tatsächlich nie schöner.