Das Ende der Philosophischen Fakultät

News — Gerüchten zufolge soll die Philosophische Fakultät, die über 10’000 Studierende der Universität Zürich beherbergt, zerschlagen werden. Was ist dran und wer profitiert?

Lea Schubarth (Text) und Linn Stählin (Text und Illustration)
17. September 2025

Von den sieben Fakultäten der Uni Zürich, die Forschung und Lehre in thematische Teilbereiche gliedern, ist die Philosophische Fakultät (PhF) die grösste und älteste. Sie formte sich bei der Gründung der Uni 1832 aus den bestehenden Höheren Schulen für Theologie, Jurisprudenz und Medizin. Heute geht ein Drittel der eingeschriebenen Studis unter dem Mantel der PhF ihrem Alltag nach. Sie studieren Geschichte, Computerlinguistik, Politikwissenschaften, Romanische Sprachen: Fächer, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Nun soll die Fakultät grundlegend neu strukturiert werden. «Sie platzt offenbar aus allen Nähten», sagt Christine Wittlin, Geschäftsführerin der Vereinigung Akademischer Mittelbau der Universität Zürich und des Verbands der Studierenden der Universität Zürich (VSUZH). Gemäss einem internen Dokument, das der ZS vorliegt, sollen zwei Lösungsvorschläge ausgearbeitet werden. Einerseits könnte die Fakultät in ihrer jetzigen Grösse und Fächerbreite erhalten bleiben und ihre innere Organisation grundlegend reformiert werden. Insbesondere sollen in diesem Fall Entscheidungsgremien verkleinert sowie ein Ko- oder Vize-Dekanat eingeführt werden. Andererseits könnte die Fakultät in zwei oder drei kleinere Fakultäten gespalten werden. In beiden Fällen steht ausserdem eine Ausgliederung des Psychologischen Instituts zur Diskussion. Dies vor allem aufgrund seiner Grösse: Das Institut betreut 2’300 Studierende im Bachelor und Master, 300 Doktorierende und hat etwa 300 Mitarbeitende.

Die Geschäfte stapeln sich

Anlass bot eine Evaluation des Dekanats der PhF im März 2023 einer Expert*innengruppe. Diese bemängelte die Grösse der Fakultät: Angesichts ihrer Vielfalt und Grösse sei die PhF nahezu eine «Universität in der Universität». Tatsächlich ist die Fakultät mit über 10'000 Studierenden etwa gleich gross wie die Universitäten Freiburg oder St. Gallen und sogar grösser als die Unis Luzern und Neuenburg zusammen. Ebenfalls unüblich ist die Unterbringung fast aller Geistes- und Sozialwissenschaften in einer einzigen Fakultät.

In der Folge gründete sich auf Beschluss der Fakultätsversammlung im April 2023 eine fakultäre Arbeitsgruppe, mit dem Ziel, die Zukunftsfähigkeit der Philosophischen Fakultät in ihrer jetzigen Form zu untersuchen und mögliche Änderungsvorschläge auszuarbeiten. Innerhalb eines Jahres erreichte die AG einen Konsens: Der Status quo stelle «keine zukunftsfähige Option für unsere Fakultät dar». Entsprechend befand die Fakultätsversammlung im März 2025 einstimmig, mit einigen Enthaltungen, dass eine Reform nötig sei. 

Hauptgrund für die geplante Umstrukturierung: Die fakultären Organe seien überlastet. So sei es der Fakultätsversammlung, bestehend aus 230 Mitgliedern aus diversen Fachrichtungen, unmöglich, effizient Entscheidungen zu treffen. Die Sitzungen würden enorm lang ausfallen, da die Teilnahme aller Mitglieder verpflichtend ist, auch wenn nur ein kleiner Teil der Fakultät von einem Geschäft direkt betroffen ist. Ähnliche Probleme hätten auch der Fakultätsausschuss, die Dekanin und ihre Geschäftsführung sowie die Pro- und Studiendekan*innen. Insbesondere habe die Anzahl zeitintensiver Standardgeschäfte mit der Umsetzung der UZH-Reform «Governance 2020+» erheblich zugenommen.

PhF fühlt sich benachteiligt

Dass die Fächer und Institute unter dem Dach der PhF so unterschiedlich sind, helfe bei der Entscheidungsfindung nicht. So heisst es im Dokument: «Unterschiedliche Karrierewege, Publikationskulturen, u. ä. führen zu auseinandertretenden Bedürfnissen beispielsweise hinsichtlich der Regelung von Qualifikationsarbeiten oder der Ausgestaltung von Studienprogrammen. Lösungsansätze passen entsprechend ebenfalls häufig nur für einen Teil der Fakultät.» Dies wirkt sich wiederum auf die Attraktivität fakultärer Positionen aus: Die Arbeitsbelastung sei hoch, der Gestaltungsspielraum klein und die Interessensvertretung schwierig.

Zudem sieht sich die PhF als grösste Fakultät der Uni Zürich in deren Strukturen massiv unterrepräsentiert. So hat sie zum Beispiel in der Erweiterten Universitätsleitung (EUL) und in den Sitzungen der Universitätsleitung (UL) mit den Dekan*innen sowie sämtlichen Kommissionen der UL, EUL und des Universitätsrats nur eine Stimme. Zum Vergleich: Die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät verfügt ebenfalls über eine Stimme, ist aber nur etwa halb so gross wie die PhF. Relevant ist das etwa in der Forschungsförderungskommission, die Fördergelder verteilt, sowie den Findungskommissionen zur Besetzung von Positionen in der UL.  Auch sei es durch die Unterrepräsentation schwieriger, der UL, dem Universitätsrat und der Öffentlichkeit die Bedeutung der wissenschaftlichen Arbeit der Fakultät zu zeigen. Eine Reform, hofft man, könnte die Sichtbarkeit und Wichtigkeit der Geistes- und Sozialwissenschaften erhöhen.

Ohne Geisteswissenschaften bröckelt die Gesellschaft

Andere fürchten allerdings, dass das Gegenteil passiert. «Es wird schon lange über die Existenzberechtigung sogenannter ‹kleiner› Fächer wie Slavistik oder Altgriechisch diskutiert. Das Problem ist, dass rechte und andere Kräfte den Nutzen der gesamten Geisteswissenschaften anzweifeln. Für diese Menschen zählt wohl nur Wirtschaft, Mathematik und Naturwissenschaft, alles, was in ihren Augen nicht ökonomisiert werden kann, sehen sie als nutzlos und wollen sie ganz abschaffen», sagt Christine Wittlin. Sozialwissenschaften wie die Psychologie, Politik- oder Wirtschaftswissenschaften unternehmen derweil enorme Anstrengungen, um den Anteil der quantitativen Forschung ihrer Felder zu erhöhen und sich von den Geisteswissenschaften abzugrenzen. Den Wirtschaftswissenschaften ist das längst gelungen: Sie haben eine eigene Fakultät und geniessen den Status einer handfesten, «objektiven» Wissenschaft, die zum BIP beiträgt. Das Institut für Politikwissenschaften (IPZ) der Uni Zürich setzt den Fokus auf quantitative Methoden und Statistik als auszeichnendes Merkmal der Lehre. 

Zwar ist im Protokoll festgehalten, die Reformplanung solle in allen Modellvarianten so durchgeführt werden, dass sich die Ressourcenverteilung zwischen den Fächern und auch zwischen Wissenschaft und Verwaltung nicht verändere. Doch Sorgen bestehen trotzdem, da kleinere Fächer ohne Schutz der grossen Philosophischen Fakultät politisch angreifbarer wären. Christine Wittlin hält das für gefährlich: «Die Uni darf nicht zu einer rein materiellen und ökonomisch erfolgsorientierten Bildungsmaschinerie werden. Zu einer ganzheitlichen Welt gehören Geisteswissenschaften dazu. Ohne sie würde sich unsere Gesellschaft grundlegend verändern.»

Zusammenarbeit der Fächer hat keine Priorität

Auch um die Transdisziplinarität – momentan ein attraktives Merkmal der Philosophischen Fakultät – sorgt man sich. Doch laut internem Dokument habe ihre Heterogenität zwar zu attraktiven Strukturen in Forschung und Lehre beigetragen, aber auch zu divergierenden Problemen und Interessen geführt. Auch würden interdisziplinäre Projekte schon jetzt wenig gewichtet und von den Studierenden selten wahrgenommen. Sébastian Margot, Co-Präsident des VSUZH, nimmt das anders wahr: «Interdisziplinarität ist äusserst wichtig. Man sollte nicht bloss in seinem Studienbereich bleiben, sondern sich mit anderen austauschen. Gerade das Angebot der School for Transdisciplinary Studies, das rege genutzt wird, zeigt, dass sich die Studierenden durchaus dafür interessieren.»

Was sich für die Studierenden ändern würde, ist noch unklar. Sébastian Margot sagt: «Eine Entlastung der Fakultät sollte grundsätzlich gut für die Studis sein. Es kommt aber stark darauf an, wie diese Idee umgesetzt wird. Die Fachvereine und der VSUZH werden an der Ausarbeitung sicherlich beteiligt sein und sich für die Interessen der Studierenden einsetzen.» Christine Wittlin stimmt ihm zu: «Es darf einfach niemand vernachlässigt werden. Die kleinen Fächer müssen auf jeden Fall bleiben. Wenn bloss betrieblich umstrukturiert wird, ist das in Ordnung.» Die Uni war bis zum Redaktionsschluss nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.