Ein Katholik reformierte die Zürcher Literaturwissenschaft

Der Schweizer Autor und Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft Peter von Matt verstarb am 21. April im Alter von 87 Jahren. Ein Nachruf.

9. Mai 2025

Stimmengewirr hallt durch den Raum, die letzten Zuhörer*innen betreten den Raum und finden in den hintersten Reihen noch ein Plätzchen. Die gut gefüllte Aula der Universität Zürich ist nicht etwa Schauplatz einer Rede Churchills, sondern einer Einführungsvorlesung in die Neuere Deutsche Literaturwissenschaft in den Neunzigerjahren. Bilder, die man sich mit den rückläufigen Studierendenzahlen in der Germanistik gar nicht mehr vorstellen kann. Hauptverantwortlich für das grosse Interesse damals war wohl der Mann, der jeweils ganz vorne stand. Von manchen auch als graue Eminenz der Schweizer Germanist*innen betitelt, vermochte Peter von Matt in seinen Vorlesungen jeweils die Zuhörer*innen zum Staunen zu bringen. Selbst bin ich nie in den Genuss einer von Matt’schen Vorlesung gekommen. Deshalb habe ich Philipp Theisohn getroffen, seinerzeit noch Student bei Peter von Matt, langjähriger Weggefährte von diesem und nun ebenfalls Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Zürich. 

Begeisterungsfähig, bescheiden und belesen sei er gewesen, erzählt mir Professor Theisohn in jenem Büro, das vor ihm auch Peter von Matt als Arbeitsplatz diente. Von Matt hatte es als Innerschweizer Katholik im protestantischen Zürich anfangs nicht leicht, so Theisohn. 1976, als er auf den neu geschaffenen zweiten Lehrstuhl für Neuere Deutsche Literatur berufen wurde, sei er gewissermassen das kleinere Übel gewesen. Dann doch lieber den Katholiken aus der Innerschweiz als einen der revolutionären 68er, habe man sich wohl gedacht. Weshalb es ein Fehler war, ihn zu unterschätzen, bewies von Matt schnell. So widmete er sich nach dem Antritt seiner Professur verstärkt dem Feld der psychoanalytischen, an Freud orientierten Literaturwissenschaft. Von seinen Vorgänger*innen noch kritisch beäugt, nahm er sie in seine Lehre auf und liess sie bis zuletzt nicht mehr los. Dabei sei er jedoch nie dogmatisch geworden, betont Theisohn. 

Von Matt wusste sich von Schweizer Literaturgrössen wie Max Frisch und Peter Bichsel umgeben – dennoch lag es ihm am Herzen, die Schönheiten der Germanistik an Leute ausserhalb des Fachs zu vermitteln. Er verstand es wie kein zweiter, den Spagat zu meistern, an dem so viele Akademiker*innen scheitern. Während er laut Theisohn in seinen Seminaren Gedichte regelrecht auseinanderschraubte und ihnen verborgene Bedeutungen entlockte, verstand er es ebenso gut, literaturwissenschaftliche Inhalte für alle verständlich aufzubereiten. Denn nicht bloss im Vorlesungsaal, sondern auch in Buchform wusste er zu glänzen. In seinem Werk «Das Kalb vor der Gotthardpost» gelang es ihm meisterlich, Schweizer Kultur- und Literaturgeschichte verständlich zu erzählen. Es sind Ansichten, die dem deutschsprachigen Literaturkosmos schmerzlich fehlen werden. Nur kurz nach dem Tode Peter Bichsels muss er sich nun auch von Peter von Matt verabschieden.