Die Dreifaltigkeit: Tattoos, Piercings und Tooth Gems

Wenn die coolsten Kids der Stadt an einem Sonntagmorgen freiwillig in die Kirche strömen, dann ist «Kunst und Flohmi» – ein Ort zwischen Vintage-Vibes, DIY-Kultur und Gemeinschaftsgefühl.

Amélie Zimmermann (Text und Foto)
11. April 2025

An einem grauen Sonntag im Januar trifft man sich in Zürich am «Kunst und Flohmi». Bereits in der Tram fallen die vielen bunten, gepiercten, coolen Kids auf, zu denen man unbedingt auch gehören will. Wer zwischen 18 und 28 Jahre alt ist und am 19. Januar 2025 am Bahnhof Enge aussteigt, gehört definitiv dazu. Und wir sind viele. Mit unserer frischen Energie, den farbigen Jacken und Harmonie malen wir an diesem Tag einen Farbtupfer in die Stadt. Wir blühen noch vor den Maiglöckchen. Der Weg wird uns von Kreidepfeilen am Boden gewiesen. «The Place to Be» ist das Reformierte Kirchgemeindehaus Zürich Enge. Es nimmt uns mit geöffneten Türen herzlich bei sich auf.

Der Flohmarkt ist beliebt. Kunstwerke, Kleidung, Schmuck und allerlei wird hier weitergegeben. Betritt man die geräumige Halle, fällt der Blick auf die wenigen Sonnenstrahlen, die durch die grossen Fenster das Wirrwarr erleuchten. Man sieht die Stände vor lauter Menschen nicht. Sowohl die Leute als auch das Angebot ist divers. Auch Tattoos, Piercings und Tooth Gems kann man sich hier machen lassen. Die Schlange will gar nicht mehr aufhören und trotzdem kommt keine schlechte Laune auf, beim Gedanken daran, dass man für ein süsses Katzentattoo wohl bestimmt eine Stunde warten muss. Niemand hat es an diesem Sonntag eilig. Man hat das Gefühl, Teil von etwas Grösserem zu sein.. Vielleicht sind es die Gemäuer des Kirchgemeindehauses oder die Gemeinschaft, die hier entsteht. Veranstalterin des Kunst und Flohmi ist Priszilla Medrano, Sozialdiakonin in der reformierten Kirche Zürich. Das Format, das bisher einmal im Jahr stattgefunden hat und eventuell eine Weiterführung im Sommer erlebt, ist aber nur eines von vielen.

Ich treffe Priszilla an einem Mittwoch zum «KreativTisch». Hier kann man am grossen Tisch im gemütlichen Kirchencafé zusammen kreativ sein und miteinander plaudern. Dabei wird gestrickt, gehäkelt und Schmuck gebastelt. So wie der Name des Cafés ist auch die Atmosphäre «Zytlos». Viele Menschen halten sich im kleinen Raum mit dem warmen Licht und gemütlichen Sofas auf. Im Vordergrund wird fröhlich geplaudert. Genau so laut, dass man die gute Laune der Menschen spüren kann und sich davon anstecken lässt. Neben dem Publikum, dass sich auch am «Kunst und Flohmi» findet, sitzen auch Grosseltern mit ihren Enkeln an den Tischchen. Die Kleinen versuchen durch schnelle Bewegungen und Ablenkungsmanöver einen Schluck vom Kaffee der Alten zu probieren. Im Hintergrund spielt leise Musik. Eine Stammgästin des Zytlos erzählt, dass sie die Playlist auch Zuhause beim Kochen hört. So fühlt sie sich aufgehoben. Wie es scheint, fühlen sich alle aufgehoben beim KreativTisch, Zytlos und dem «Kunst und Flohmi».

Die reformierte Kirche Zürich leistet mit dem Zytlos und dessen modernen Formaten, zu dem auch der «Kunst und Flohmi» gehört, Gemeinschaftsarbeit und schafft es, junge Menschen in die Kirche zu holen. Beitreten muss man der Kirche aber nicht. Es wird laut Priszilla ein Angebot geschaffen, von denen alle profitieren dürfen und das sich nicht an den finanziellen Mitteln der Besuchenden orientiert. Trotzdem gebe es innerhalb der grossen und alten Institution gelegentlich Herausforderungen, unterschiedliche Meinungen und lange Entscheidungswege, die überwunden werden müssen. Zum Glück gibt es engagierte Menschen, die mit viel Zeit und Energie versuchen, die Kirche für alle relevant und zugänglich zu gestalten. So verbringen die Besuchenden des «Kunst und Flohmi» nicht nur einen schönen Nachmittag, sondern setzen auch ein Zeichen dafür, dass es solche Austauschformate braucht. Für alle Menschen soll in Zürich Platz sein.