Vom Utoquai ins kalte Wasser
Kaltbaden für die Gesundheit: Die Seebadi Utoquai öffnet von November bis März ihre Türen für Wagemutige. Unser Autor begleitet Mitglieder des Vereins «Winterschwimmen Utoquai» bei Minusgraden in den See.
Fünf Grad. So kalt ist der Zürichsee am ersten Samstag im März. Als ich langsam ins Wasser gleite, fühle ich ein Stechen in Beinen und Füssen, gefolgt von einem Fluchtimpuls. Eine kurze Schockwelle erfasst mich und ich frage mich, ob es eine gute Idee war, mich gleich für den Fortgeschrittenenkurs anzumelden. Kurz die Augen schliessend, schaffe ich es, den kompletten Oberkörper im Wasser verschwinden zu lassen.
Mit jedem Zug wird mir wohler. Als ich aus dem Wasser steige, fällt mir auf, dass mir überhaupt nicht kalt ist. Doch eigentlich beginnt die winterliche Kaltwassertherapie schon eine halbe Stunde vorher: In Badekleidung machen wir Atem- und Aufwärmübungen – die Vorbereitung ist ein zentraler Teil.
Trendsport oder Masochismus?
Gymnastik und mentales Training helfen, Körper und Geist auf den Kälteschock einzustellen. Zudem sind die Übungen wichtig, um den Körper danach von innen heraus wieder aufzuwärmen. Die Atemtechniken laufen darauf hinaus, dass langsamer aus- als eingeatmet wird, sodass die Bauchatmung aktiviert wird. Erst nach einer Weile meldet sich das körpereigene Heizsystem mit Zittern, Schlottern und Frieren.
Bei geübten Kaltwasserschwimmer*innen fällt dieses Zittern fast nicht mehr auf. lch aber bin dankbar, als ich meine Thermowäsche überziehen und einen warmen Tee in den Händen halten kann. Zwischen zwei warmen Schlucken frage ich bei den anderen Kaltbadenden nach, wieso sie hier sind. Ihre Gründe für die Teilnahme in der Badi Utoquai sind unterschiedlich. Manche aus purer Neugierde, andere tun es wegen des Wohlgefühls. Viele berichten von einer Ruhe und mentalen Stärke, die sich nach regelmässiger Kälteexposition einstelle.
Zudem sind einige davon überzeugt, dass das kalte Wasser das Immunsystem stärkt und hilft, gesund zu bleiben. Auch Axel Schafmeister, Präsident des Vereins «Winterschwimmen Utoquai» ist Hardcore-Winterschwimmer und überzeugt von den positiven Effekten: «Die Kälte aktiviert den Parasympathikus, also den Teil des Nervensystems, welcher zuständig ist für die Ruhe. Ebenso wird der Vagus-Nerv stimuliert. Dies wirkt beruhigend und hilft gegen Angespanntheit und Nervosität.»
Die Forschung zögert, die Leute nicht
Dass es zu den gesundheitsfördernden Aspekten des Winterschwimmens in den letzten zwanzig Jahren erst acht bis zehn Studien gab, lässt ihn kalt: «Wo kein kommerzielles Interesse herrscht, gibt es auch zu wenig Bemühungen. Wenn sich herausstellt, dass Winterschwimmen sowohl gegen Rheuma und Gelenkentzündungen als auch gegen Burnout und Depressionen hilft, dann hat erst mal keiner davon einen wirtschaftlichen Nutzen.»
Dank Initiativen wie dem Verein «Winterschwimmen Utoquai» erfreut sich der Sport in den letzten Jahren wachsender Beliebtheit. Axel und die anderen Initiant*innen sorgen dabei für sichere Bedingungen. Rettungsschwimmer*innen sorgen für Sicherheit, die Teilnehmenden werden durch Aufwärm- und Atemübungen geleitet und erhalten die Möglichkeit, das Kaltwasserschwimmen in einem Innenbecken ausprobieren zu können. Während der Saison von November bis März bietet der Verein jeweils samstags und sonntags ein geführtes Winterschwimmen an.
Dabei wird zwischen Angeboten für Anfänger*innen und Fortgeschrittene unterschieden. Ein Einzelticket kostet 20 Franken, die Saisonkarte 150 Franken. Junge Leute fehlen dem Verein momentan noch. Beim Vorstand überlegt man sich aber, das Angebot in Zukunft mit Studierendenrabatten attraktiver zu machen. Bevor ich mich auf den Heimweg mache, blickt Axel mich nachdenklich an. Dem Verein gehe es nicht um einen Wettbewerb im Kaltschwimmen oder darum, neue Rekorde aufzustellen.
«Soweit erforscht, stellen sich die gesundheitlichen Wirkungen des kalten Wassers nach ungefähr drei Minuten ein und wachsen nicht proportional zu der Länge des Aufenthalts im Wasser», erklärt er mir. Ihm ist das Gefühl der Teilnehmenden wichtig: «Wir sind wie eine Glücksfabrik. Die Leute kommen hier rein und gehen strahlend wieder raus». Auch ich verlasse die Badi mit einem Strahlen – Zittern inklusive.