Verloren

Bildbox

Sara Magnabosco (Text und Foto)
10. April 2025

In Zeiten wie diesen schmerzt die Vorstellung des Innenlebens der Fremden um uns besonders. Wir drehen den Kopf und vermeiden in der Tram den Sitznachbarn, denn überrascht wären wir nicht, finge auch er an, die Demokratie zu verleumden. Sehen wir Parolen an den Wänden, ärgern wir uns über die Ignoranz anderer, doch nur wenig mehr als über unsere eigene Dummheit, den Blick von den vertrauten Füssen gewandt zu haben. Der Gutherzigkeit mancher Alltagsbräuche werden wir uns dadurch selten bewusst. Ein besonders unauffälliger ist der des Aufhebens und sorgfältigen Platzierens verlorener Gegenstände derjenigen, die vor uns hier entlang liefen. Ferner vom Boden steht es scheinbar besser um die Wiedervereinigung. So legen wir den verlorenen Kinderschuh auf die Bank, in der Hoffnung, die Eltern mögen sich umdrehen und der kleine Fuss in der Zwischenzeit auf keine Biene treten. Wir dekorieren Mauern und Fenstersimse mit Fundgegenständen und hinterfragen auf unseren Spaziergängen keineswegs mehr die skurrilen Ausstellungen, die wir erschaffen. In meiner eigenen Kindheit besass ich einen Stoffhasen mit vollgesabberten Ohren, den ich auf einem unserer Abenteuer verlor. Die Erinnerung an meine Untröstlichkeit bleibt mir nur aus Erzählungen. Womöglich schrie ich noch heute, wenn sich nicht auch damals jemand den Aufwand des Wiederfindens mit mir geteilt hätte. So blieb mein Hase noch viele Jahre an meiner Seite und erlebte mit, wie ich neue Freund*innen und Vertrauen in die Welt fand und sie dort verlor, wo ich sie auf keiner Mauer jemals wiederfinden werde.