ETH auf Mission Netto-Null

Die ETH will bis 2040 klimaneutral sein. Zwischen CO₂-intensiven Dienstreisen und innovativen Energiesystemen setzen sich Forschende, Studierende und Verwaltung für den Klimaschutz ein.

Elisabeth Gerstner (Text) und Adam Burri (Illustration)
10. April 2025

«Ich flog zu viel. Mein letzter Flug war am 30. Januar 2020 und ich wünschte, ich hätte früher aufgehört», schreibt Dr. Jonas Peters, Professor für Statistik an der ETH auf seiner Website. Auch die Studierendenschaft, insbesondere das Student Sustainability Committee (SSC) fordert die Reduktion unnötiger Dienstreisen. Seit 2008 unterstützt die Stabsstelle ETH Sustainability die Technische Hochschule in ihren Nachhaltigkeitsbestrebungen. Die Leiterin der Stabsstelle, Dr. Claudia Zingerli, sagt: «Bis 2030 gibt es konkrete Klimaziele, nämlich direkte Emissionen sowie Emissionen durch Strombezug und Dienstreisen um 50 Prozent gegenüber 2006 zu reduzieren.» Dies sei aber nur ein kleiner Anteil verglichen mit den indirekten Emissionen aus den Lieferketten, die durch Beschaffung von Material oder den Konsum entstünden. Die ETH ist durch das 2019 beschlossene «Klimapaket Bundesverwaltung» tatsächlich dazu verpflichtet, die Klimaziele zu erreichen. Bis 2040 ist das Ziel «Netto Null», also eine maximale Reduktion der Emissionen von Treibhausgas – auch bei den indirekten Emissionen. Das Programm ETH Netto-Null und dessen neun transformative Projekte bringen laufend neue Erkenntnisse und Massnahmen, welche das weitere Vorgehen bei der Vermeidung und Reduktion unterstützen sollen. Die unvermeidbaren Emissionen aus dem Hochschulbetrieb müssen künftig vollständig neutralisiert, also permanent aus der Atmosphäre entzogen, werden. 


Zingerli erklärt, weshalb es diesen CO₂-Ausgleich brauchen wird: «Ein Forschungs- und Wissenschaftsbetrieb, ein Lehrbetrieb wie die ETH wird immer Ressourcen beanspruchen, die sich nicht einfach vermeiden oder reduzieren lassen.»  Die Technologien zur Neutralisation sind aber teuer. Zingerli sagt: «Lieber investieren wir in Materialien, die weniger CO₂-intensiv sind, und vielleicht ein bisschen teurer, vielleicht viel teurer, aber dann haben wir das Material auf unserem Campus, anstatt dass wir die Emissionen zu einem sehr hohen Preis pro Tonne ausgleichen müssen.» Denn dieses Geld sei dann einfach weg – anders als bei einer strukturellen Investition. 


Zu den Dienstreisen meint Zingerli: «Die Flugreisen sind ein emotionalisiertes Thema». Internationale Vernetzung und Konferenzen seien ein wichtiger Bestandteil der akademischen Karriere. Insbesondere am Anfang der Karriere, zum Beispiel für Doktorierende, sind sie wichtig, um sich Sichtbarkeit zu verschaffen. Doch Forschung geht laut Jonas Peters auch ohne Flugzeug. Er meint, es gebe insgesamt zu viele Konferenzen: «Wenn jede Wissenschaftler*in durchschnittlich zwei Konferenzen pro Jahr besucht, scheint mir das ausreichend. Wir könnten da eine Menge Geld, Zeit und CO₂ sparen». Zudem gebe es auch gute technische Möglichkeiten, in Kontakt zu bleiben. Also: Zumindest die Flüge zu reduzieren, scheint möglich.


Denn zu wie vielen dieser Konferenzen «müssen» Wissenschaftler*innen wirklich? Eine Studie der ETH-Lausanne (EPFL) zeigt am Beispiel von Senior-EPFL-Researchers: Die Korrelation zwischen CO2-Fussabdruck durch Flugreisen und dem wissenschaftlichen Impakt, der an 18 Parametern gemessen wurde, etwa an der Anzahl Zitate, ist vernachlässigbar. Zudem beobachten sie höhere CO₂-Emissionen durch Professor*innen höheren Rangs, bei gleicher akademischer Leistung. Die Flugreisen tragen also zumindest bei Forschenden auf höherer akademischer Ebene, wie etwa Professor*innen, nicht signifikant zum Erfolg bei. 


Einer der Erfolge für die «Expedition zu Netto-Null» der ETH ist das System zur Kälte-und Wärmeversorgung auf dem Hönggerberg, das «Anergienetz». Das Anergienetz heizt oder kühlt mithilfe von Wärme- und Kältepumpen, sowie wassergefüllten Erdsonden. Für die Pumpen muss Energie von aussen zugeführt werden, ansonsten ist das System in sich geschlossen.


Der Vorteil gegenüber traditionellen Heizmethoden ist, dass die überflüssige Wärme, die insbesondere im Sommer in den Gebäuden entsteht, in den wassergefüllten Erdsonden gespeichert wird und im Winter verwendet werden kann. Im Winter kühlt also das Wasser in den Erdsonden wieder ab, da die Wärme abgeführt wird, sodass für den Sommer kühleres Wasser bereitsteht. Für den ETH Campus Zentrum gibt es ein ähnliches Projekt, erzählt Dr. Christian Schaffner, Executive Director des Energy Science Centers (ESC) der ETH Zürich: «Auch ein Anergienetz, aber nicht mit Erdsonden betrieben, sondern mit Seewasser.»


Bis jetzt hat das Anergienetz auf dem Hönggerberg jedoch noch nicht die Gaskessel der ETH ersetzt, wie Dr. Schaffner sagt: «Es gibt ein paar Wochen im Jahr, in denen der Wärmebedarf so hoch ist, dass das Netz nicht nachkommt. Bis jetzt wurden die Netze für etwa 80 bis 90 Prozent der Spitzenleistung dimensioniert . Für den Rest hat man noch Gaskessel. Der Grund ist kein technischer, sondern ein rein ökonomischer Grund.» Wenn man 20 Prozent dazu bauen wolle, dann koste das 20 Prozent mehr Investitionen, aber die dadurch erreichte Spitzenleistung brauche man nur während einiger weniger Wochen im Jahr. Damit das Heiz- und Kühlsystem der ETH ganz emissionsfrei wird und auch die Spitzenleistung deckt, muss also noch investiert werden – entweder in mehr Pumpen und Sonden oder in Technologien zur Absonderung und Speicherung von CO₂.


Auch laut Zingerli ist das Anergienetz zentral für das Erreichen der Klimaziele. Im Rahmen des Programms ETH Netto-Null werden gemeinsam weitere Ideen und Vorschläge entwickelt. Dazu gehören beispielsweise gemischte Projekt- oder Arbeitsgruppen, in denen Professor*innen, Studierende, Mittelbauvertreter*innen, Doktorierende und Fachpersonen aus dem Betrieb zusammen an einem spezifischen Thema arbeiten, um Lösungen zu entwickeln. Es werde gemeinsam hart gearbeitet am Erreichen der Ziele, doch vieles sei noch nicht entschieden, vieles wird noch besprochen und entwickelt und bei vielem ist mit Widerstand zu rechnen. Zingerli unterstreicht, dass ein Grossteil ihrer Arbeit aus Kommunikation, Sensibilisierung und einem geschickten Umgang mit Widerständen besteht: «Wir haben einen sehr langen Atem bei ETH Sustainability, wir müssen viel Hartnäckigkeit zeigen.» Doch das sei Teil des Geschäfts.