Flavien Goussets neue Plattform vermittelt Engagierfreudige an Kollektive.

«Die Resonanz war unglaublich»

Die Erklärvideos von Jungpolitiker Flavien Gousset, in denen er politische Themen verständlich aufbereitet, erreichen ein grosses Publikum. Seine neue Webseite will Menschen dabei helfen, aktiv zu werden.

Léon Kuthy (Interview) und Esteban Neugebauer (Foto)
10. April 2025

Flavien, wie bist du darauf gekommen, Videos über politische Inhalte auf Instagram zu posten?
Geplant war das nicht. Ich habe damit angefangen, politische Inhalte auf den sozialen Medien zu posten, weil sie mir wichtig sind, dort aber nicht präsent waren. Und weil ich Lust hatte, etwas Neues auszuprobieren. Der richtige Startschuss kam im Herbst 2020, als an einem Sonntag gleich fünf eidgenössische Abstimmungen auf dem Programm standen – Vaterschaftsurlaub, Kampfjets, Jagdgesetz, eine SVP-Initiative und eine Steuervorlage. Da habe ich mir gesagt: Ich mache zu allen Vorlagen ein Video und erkläre, worum es dabei geht. So wollte ich Menschen dazu bringen, abzustimmen. Ausserdem zwang es mich dazu, mich intensiver mit diesen Themen auseinanderzusetzen. 

Deine Videos kamen bei den Leuten gut an.
Anhand der Aufrufzahlen und Rückmeldungen habe ich das schnell gemerkt. Dass sich 15'000 Menschen so ein Erklärvideo anschauen, fand ich absolut crazy. Das hat mich motiviert, weiterzumachen. Mit jedem Video wuchs das Interesse weiter: Das Video zum Frauenrentenalter hat fast zwei Millionen Aufrufe. Diese Entwicklung war eine gute Sache, brachte aber auch Verantwortung mit sich. Viele Menschen erwarten mittlerweile, dass ich vor Abstimmungen Erklärungen anbiete. Ich versuche, mich davon nicht zu sehr unter Druck setzen zu lassen. Ich will diese Videos machen, weil ich Lust darauf habe, nicht nur aus einem Verantwortungsgefühl heraus. 

Wie kam deine Plattform «engagier-dich.ch» zustande?
Die Idee zu «engagier-dich.ch» kam über Social Media. Als Reaktion auf einen kurzen Text zu Trumps Vereidigung schrieb mir eine Followerin, dass sie sich engagieren will, das in ihrem Umfeld aber niemand tue. Entsprechend wisse sie nicht, wo und wie. Solche Nachrichten beantworte ich üblicherweise mit zwei, drei Tipps. Ich habe dann in einer Instagram-Story gefragt, ob Bedarf für eine solche Plattform besteht. Die Resonanz war überwältigend: Viele fanden die Idee super, und einige haben sich gleich gemeldet, um mitzuhelfen. Innerhalb von zwei Wochen haben wir die Website aufgebaut – ein kleines Team aus einer Webdesignerin, einem Coder und jemandem, der an der Schnittstelle zwischen beidem arbeitet.

Wen findet man denn auf der Plattform?
Via Instagram hatten sich bereits zum Launch-Zeitpunkt 90 Kollektive eingetragen, inzwischen sind es etwa 250. Wichtig ist uns, dass die Plattform Orte listet, an denen man sich aktiv engagieren kann. Es soll kein Register von NGOs sein, sondern eine Sammlung von Projekten, bei denen man sich tatsächlich einbringen kann. 

Was würdest du Menschen raten, die politisch aktiv werden wollen, aber nicht wissen, wo sie anfangen sollen?
Mein erster Rat wäre natürlich: Schaut auf «engagier-dich.ch» vorbei! (lacht) Aber ernsthaft: Es braucht jetzt alle. Wichtig ist, dass man sich nicht entmutigen lässt, wenn man nicht sofort die perfekte Organisation findet. Manchmal braucht es etwas Geduld, bis man merkt, wo man am besten reinpasst. Und was viele auch vergessen: Es ist völlig okay, Dinge nicht zu wissen, Fehler zu machen. Politisches Engagement ist ein Lernprozess. Man wächst mit den Herausforderungen, und nicht jede Aktion wird sofort Erfolg haben. Entscheidend ist, dass man anfängt – und dann weitermacht. 

«Wenn alle politisch gebildet, aber niemand politisch aktiv ist, habe ich nichts erreicht.»

Viele kritisieren, dass linke Bewegungen oft zu fragmentiert sind. Müsste die Linke ihre Kräfte besser bündeln, um gegen den Aufstieg rechter Bewegungen etwas auszurichten?
Es geht sicher noch besser, ja. Vielfältige Aktionsformen sind wichtig, unterschiedliche Schwerpunkte machen Sinn, und Diskussionen um die richtige Strategie sind spannend, aber wir sollten den Fokus auch immer wieder darauf richten, was uns verbindet. Die allermeisten Menschen, die sich in der Linken en­gagieren, kämpfen für dasselbe: Menschenwürde, Freiheit, soziale Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit. Das ist eine gute Grundlage für ­Bündnisse.

Du nutzt soziale Medien erfolgreich zur politischen Bildung. Funktioniert das wirklich so gut, wie es scheint?
Ja, ich würde sagen, dass es sehr gut funktioniert. Aber ein Erklärvideo kann natürlich nur der Einstieg sein. Meinen Beitrag sehe ich darin, komplexe Themen so zugänglich wie möglich zu erklären, ohne sie zu sehr zu vereinfachen. Die eigentliche Arbeit passiert danach, wenn Menschen meine Erklärungen und Argumente hinterfragen, mit ihrem Umfeld diskutieren und sich im Prozess selbst eine Meinung bilden. Danach fangen sie hoffentlich an, sich zu engagieren. Wenn alle politisch gebildet, aber niemand politisch aktiv ist, habe ich nichts erreicht.

Soziale Medien haben aber auch schlechte Seiten. Vor allem, wenn Plattformen von milliardenschweren Konzernen kontrolliert werden. 
Absolut. Die Kontrolle durch Konzerne wie Meta oder Twitter ist ein riesiges Problem. Sie könnten morgen entscheiden, jeden Beitrag, der das Wort «Solidarität» enthält, nicht mehr anzuzeigen. Mir ist es auch unangenehm, dass meine Inhalte ihre Profite erhöhen. Trotzdem kommen wir im Moment nicht daran vorbei. Ich will nicht in Schönheit sterben.

Wie schafft man es, bei der ständigen Flut von negativen Nachrichten nicht in die Hoffnungslosigkeit zu versinken?
Ich denke, es ist wichtig, sich immer wieder bewusst zu machen, dass unsere Welt gestaltbar ist. Die Reichen und Mächtigen möchten zwar, dass wir ihre Politik als alternativlos und soziale Ungleichheit als gottgegeben verstehen, aber das ist sie nicht. Alles, was uns an unserer Welt empört, ist das Resultat von poli­tischen Entscheidungen. Und die ­können wir ändern. Indem wir uns ­zusammenschliessen, politische Visionen formulieren und konkrete Projekte anpacken. Dabei scheitert man häufig, hat aber auch immer wieder Erfolge. In düsteren Momenten hilft es mir sehr, an diese zurückzudenken. Ich hätte diese Erinnerungen aber nicht, hätte ich mich nie engagiert. Darum: Engagiert euch!