Der Quartierladen ohne Seele
Laut der Schnellimbissbranche ist der Avec einer der besten «Convenience Stores» weltweit. Die lokale Bevölkerung und die Studierenden vermissen jedoch das Vorgängergeschäft Russo.
Von 2002 bis 2022 war an der Kreuzung Freiestrasse-Zürichbergstrasse, im Herzen des Hochschulviertels zwischen dem Rechtswissenschaftlichen Institut (RWI) und dem Institut für Betriebswirtschaftslehre der Quartierladen Russo beheimatet. Er erlangte in dieser Zeit Kultstatus, war er doch Treffpunkt von Studierenden verschiedenster Fachrichtungen.
Kaffee für einen Franken wurde geschlürft, zum Mittagessen gab es Sobanudeln oder Panini. Doch als das Haus saniert wurde, war Schluss. Der Russo konnte sich die Miete nicht mehr leisten und zog ins Seefeld. Dem Quartier wurde sein wichtigstes Lebensmittelgeschäft entzogen. Mittlerweile hat nach etwa zwei Jahren Umbauzeit an derselben Stelle eine Avec-Filiale aufgemacht. Ein Jahr nach der Türöffnung ist es nun an der Zeit, ein erstes Zwischenfazit zu ziehen.
Kurze Wartezeit, grosses Angebot
Vor den Schiebetüren des Avec steht Jannis, ein Unistudent, gemeinsam mit Kollegen und trinkt einen Kaffee. Er war schon zu Zeiten des Russos während seiner Pausen immer wieder hier. «Der neue Avec ist leider nicht mehr gleich persönlich», sagt er etwas wehmütig. Dies fällt schon an der Einrichtung auf, welche durch das Neonlicht und den hohen Glasfronten einer Tankstelle ähnelt. Nicht zu vergleichen mit dem Russo, in dem langjährige Stammkund*innen und ausgelernte Lehrlinge ihren Platz an der Fotowand erhielten.
Die einst so verwinkelten und prall gefüllten Verkaufsflächen sind nun unter dem Gebot der Profitmaximierung gut zugänglichen und geräumigen Regalen gewichen. «Aber als Alternative zu den oftmals überfüllten Mensen der Uni besuche ich den Laden dennoch ab und an», sagt Jus, der mit Jannis studiert. Besonders die imposante Getränkeauswahl hat es den Studierenden angetan. Die blauen Mate-Büchsen scheinen sich am besten zu verkaufen. Ein Grossteil der Kühlschränke ist mit ihnen gefüllt. Auch Jannis und Jus konsumieren regelmässig das koffeinhaltige Erfrischungsgetränk. Daniela Baumann arbeitet in der Kommunikationsabteilung der Valora-Gruppe, zu der neben allen Avec-Läden auch die KKioske gehören. Sie sagt: «An der Freiestrasse betreiben wir zum ersten Mal einen Avec-Store in der Innenstadt und nicht an einem Hochfrequenzort. » Die Nähe zur Universität und den weiteren Schulen ziehe vor allem junge und mobile Kundschaft an. Studierende seien laut Baumann ein wichtiger Teil der Zielgruppe.
«Deshalb arbeiten wir kontinuierlich daran, das Angebot nach ihren Bedürfnissen weiterzuentwickeln», fährt sie fort. Auch darum sei mit «The Kitchen by Avec» ein neues Konzept für die Filiale entwickelt worden. «Uns war es wichtig, dass wir den Studierenden frische Produkte to go anbieten können», sagt Baumann. Zudem habe man digitale Bestell- und Zahlungsmöglichkeiten installiert, damit der Studi-Ansturm über Mittag gut gemeistert werden kann.
Auch Maximilian nutzt das Angebot des Avec immer mal wieder. Seit letztem Sommer studiert der 21-jährige Recht. «Über den Mittag ist der Laden eine echte Alternative», sagt er. Besonders wenn er im RWI lernt, gehe er oft für einen schnellen Snack in den Laden. Es sei praktisch, dass ein Lebensmittelgeschäft in der Nähe liege – und auch für das Studibudget sei der Laden vorteilhaft: «Neben dem ziemlich vielseitigen Angebot finde ich besonders die Preise im Zürcher Quervergleich mehr als fair.» Im Mittagsangebot gibt es an der «Kitchen»- Theke Pizza, Hot Dogs oder Panini für unter zehn Franken. Zudem gebe es auch Tagesmenüs wie beispielsweise indisches Tikka Masala für 12.95 Franken oder Penne al Pesto für 7.95 Franken. Zu Stosszeiten kann der sonst grosszügige Platz zwischen den Regalen jedoch durchaus knapp werden. Dies liege auch an den vielen Gymnasiast*innen der Kantonsschule Rämibühl, die ihre Mittagspause oftmals zur gleichen Zeit wie viele Studierende haben. Dennoch ist Maximilian erstaunt, wie schnell es im Avec gehen kann: «Die Wartezeiten halten sich eigentlich oft in Grenzen.»
Hotdogs lassen zu wünschen übrig
Baumann und die Valora Gruppe sind zufrieden mit der Umsetzung von «The Kitchen». «Mittlerweile haben wir das Konzept an mehreren anderen Standorten eingeführt», sagt sie. Auch branchennahe Beobachter*innen attestieren der Neuheit Qualität. «Sehr gefreut hat uns, dass die Filiale im Uniquartier im letzten Jahr international für Aufsehen sorgte», sagt die Kommunikationsmanagerin. Von zahlreichen internationalen Bewerbungen sei der Avec vom Fachmagazin «Global Convenience Store Focus» zu einem der weltweit zwölf besten «Foodvenience Stores» gewählt worden. «Foodvenience» ist ein Marketingbegriff, der kalorienhaltige, schnell zubereitete Produkte, die auch frische Zutaten beinhalten, bezeichnet. So soll gesünderes Essen, als es beispielsweise bei herkömmlichen Fastfoodketten angeboten wird, trotzdem im Vorbeigehen gekauft werden können. Das Angebot überzeugt aber nicht alle. Schüler*innen des benachbarten Gymnasiums, die lieber anonym bleiben wollen, berichten etwa von schlechten kulinarischen Erfahrungen mit Hotdogs oder Kebabs.
Allgemein lässt sich sagen, dass grosse Teile der Kundschaft gemischte Gefühle zum Avec haben. So sind sie zumeist froh, dass es wieder ein Lebensmittelgeschäft im Uniquartier gibt und über Mittag eine kostengünstige Alternative vorhanden ist. Doch viele denken auch nach drei Jahren immer noch wehmütig an den alten Russo zurück. Dem ehemaligen Herzen des Hochschulquartiers ist eine unterkühlte, funktionale Filiale eines Discounters gewichen.