Und was machst du dann damit?
Bei Kaffee und Tee erzählen Studierende der Geistes- und Sozialwissenschaften, warum sie sich für ihr Studium entschieden haben. Dabei trotzen sie abfälligen Kommentaren und öffnen uns die Sicht au s grosse Ganze.
Zoe: «Einen Beitrag leisten»
«Es geschieht immer häufiger, dass ich mit Freund*innen über ein politisches Thema spreche und dabei merke, ah, hierzu habe ich was in der Uni gelernt! Und dabei handelt es sich oft nicht um einen konkreten Inhalt, sondern mehr um das Hervorrufen einer neuen Perspektive, die ich früher nicht berücksichtigt hätte. Dann merke ich, wie realitätsnah mein manchmal so abstraktes Fach eigentlich doch ist. Einen kritischen, faktenbasierten Zugang zu politischen Diskussionen zu erarbeiten, empfinde ich als sehr wertvoll; für mich persönlich, aber auch für den gesellschaftlichen Diskurs. Seit ich studiere, ist meine politische Meinung auch sehr viel differenzierter geworden, mit mehr Verständnis für verschiedene Haltungen inmitten der heute wahrgenommenen Fronten. Der Politik würde es bestimmt nicht schaden, hätten mehr Politiker*innen Politikwissenschaft studiert. Dass solche fachübergreifende Kompetenzen ein wichtiger Teil meiner Studienrichtung sind, beruhigt mich in Zeiten, in denen ich mich frage, wohin ich mich mit meinem Studium bewege.
Ja, dieser Weg führt mich nicht zu einem spezifischen Berufsprofil ich bin danach nicht für einen konkreten Job ausgebildet. ‹Und was machst du nachher? Sehen wir dich bald im Bundesrat?›, solche Fragen höre ich oft, besonders von älteren Generationen. Darüber kann ich lachen, denn nur sehr wenige Politikwissenschaft-Absolvent*innen machen tatsächlich Karriere in der Politik. Manchmal fühle ich mich aber auch von diesem weiten Feld an potenziellen Jobmöglichkeiten überfordert. Dann lese ich Erfahrungsberichte von Alumni und merke, wie toll es ist, so viel Selbstbestimmung über den Weg zu haben, den ich gehen möchte. Auch dass unser Stundenplan so flexibel ist, ermöglicht uns, in unserer Freizeit aktiv zu sein und vielleicht schon während des Studiums einen Beitrag an die Gesellschaft zu leisten, was ich allen sehr empfehle. Damit meine ich aber nicht nur bezahlte Jobs, sondern auch wertvolle Dinge, die nicht finanziell messbar sind, wie zum Beispiel Freiwilligenarbeit, politisches Engagement… oder auch die ZS!
Maja: «Kompromiss»
«Mir war immer klar, dass ich etwas in den Sozialwissenschaften studieren will. Gesellschaftliches Verhalten fasziniert mich sehr. Und nein, wir lernen nicht, wie man miteinander spricht. Da steckt viel mehr dahinter! Mit meiner Studienwahl ziele ich auf ein ganz spezifi ches Interesse ab: Wie lässt sich die Gesellschaft mit Worten beeinflussen und lenken? Die Fähigkeit, Absichten hinter einer Wortwahl zu erspüren und zu analysieren, braucht es nicht nur in der Werbebranche, sondern auch für eine kritische Perspektive auf politische Narrative. In Worten und ihrer Herkunft steckt viel Geschichte. Diese zu dekonstruieren ist nicht nur ein ‹Herumdenken› an Belanglosem, sondern ein wichtiger Ansatz für das Verständnis der Gegenwart. Menschen, die den Nutzen der Geisteswissenschaften bezweifeln, sehe ich als engstirnig oder einfach uninformiert. Natürlich ist mir meine Zukunft wichtig. Ich möchte später auch genug Geld für Ferien und Kinder haben. Mit Kommunikationswissenschaften denke ich, eine gute Balance zwischen Interesse und später über die Runden zu kommen gefunden zu haben. Die Berufsaussichten sind total vielfältig. Am liebsten möchte ich in Bereichen wie politischer Kommunikation, PR oder Nachhaltigkeitskommunikation arbeiten.»
Koni: «Genügt das nicht?»
«Für Philosophie habe ich mich aus reinem Interesse entschieden. Es fasziniert mich sehr, Gedanken, die ein Mensch vor über zweitausend Jahren hatte, heute zu verstehen und vielleicht sogar weiterzuführen. Mir gefällt das Studium, ich mache es für mich selbst, da liegt für mich der Sinn. Braucht es mehr als das? Aber klar, Philosophie kann schon abstrakt und in bestimmten Fällen gar abgehoben sein, da stell ich mir auch mal die Frage, ob es gerechtfertigt ist, dass ich so viel Zeit dafür investiere. Das beziehe ich jedoch mehr auf mich selbst und weniger auf einen gesellschaftlichen Nutzen. Natürlich lernen wir viele Kompetenzen, wie kritisches Denken und Textverständnis. Auf die greife ich zurück, wenn ich mich mal rechtfertigen muss. Aber ganz ehrlich? Das sind nicht die Gründe, warum ich Philosophie studiere.
Ich denke, viele Menschen stellen sich in ihrem Leben philosophische Fragen – ob bewusst oder unbewusst. Ist es gerecht, wie viel ich verdiene? Wie kann ich in dieser und jener Situation moralisch richtig handeln? So gibt es nun mal uns Studis, die sich die Zeit nehmen wollen, sich intensiver mit solchen Fragen zu beschäftigen. Oftmals sind Themen in meinem Studium tatsächlich sehr gesellschaftsnah. Ich denke, das wissen viele nicht und dieses Unwissen nährt wiederum die Kritik gegenüber den Geisteswissenschaften. Was ich später machen möchte, sollte ich mir vielleicht mal überlegen, ja. Es ist nicht leicht, einen gut bezahlten Job zu finden indem du exakt nur Philosophie anwendest, da macht dir keiner was vor. Hier muss man Kompromisse eingehen. Ich mache nun neben meinem Master noch das Lehramt, für ein bisschen Sicherheit, falls es als grosser Denker nichts wird.»
Carla: «Zwischen Disziplinen»
«Ich war in meiner Studienwahl stets hin- und hergerissen, da ich mich sowohl für mathematische Konzepte als auch für gesellschaftliche Diskurse interessiere. Ursprünglich hatte ich mich dann entschlossen, Mathe zu studieren: Die Wege schienen klarer und die Karrierechancen besser, eine Denkweise, die wohl auch die Haltung meiner Familie und des Umfeldes aus meiner KV-Lehre widerspiegelt. Kurz vor Studienbeginn entschied ich mich dann aber doch um. Ich wollte die Möglichkeit nutzen, meiner Faszination zu folgen: die Analyse von Sprache und ihrer Rolle in politischen und gesellschaftlichen Debatten. Deshalb schrieb ich mich für Geschichte im Hauptfach und Computerlinguistik im Nebenfach ein. So konnte ich Technisch-Mathematisches mit einer Geisteswissenschaft verbinden. Ich bin froh, diese Entscheidung getroffen zu haben!
Einerseits finanziere ich mir mein Studium und meine Wohnung selbst, indem ich in einem fi en Pensum weiter Teilzeit arbeite. Das wäre schwieriger gewesen mit einem Fach wie Mathematik oder Medizin. Dazu gibt es bei genauerem Hinsehen viele Arbeitsmöglichkeiten für Absolvent*innen meiner Studienfächer, wie etliche Stellenangebote beim Bund oder im Bereich der digitalen Geisteswissenschaften. Der Weg nach meinem Studium scheint nicht so klar vorgezeichnet wie bei Mathe, daher auch die Vorbehalte meiner Familie, doch das stört mich nicht. Ich sehe die Breite der Möglichkeiten eher als Chance, mir meine Zukunft frei zu gestalten und in Richtung Journalismus, Forschung oder Bildung zu gehen. Im Optimalfall finde ich mich in einem Beruf wieder, in dem ich mit Methoden aus der Geschichte sowie der Computerlinguistik Diskurse, die unsere Welt bewegen und die Meinungsbildung prägen, aufarbeiten und kritisch beleuchten kann. Die Sinnhaftigkeit, die ich darin finde motiviert mich nachhaltig auf meinem Weg.»
Virag: «Über Nebenstrassen»
«‹Was kann man denn mit einem Studium in Kommunikation später überhaupt machen?›, diese Frage höre ich oft. Für mich liegt die Antwort auf der Hand: Mich faszinieren die Psychologie, die eine Firma antreibt, und die Mechanismen, die hinter ihren Prozessen stecken. Wenn ich Freude an meinem Fach habe, dann ergibt es für mich Sinn, es zu studieren. Auch mein Nebenfach hat eine zentrale Bedeutung: In den Ethnologie-Kursen schärfe ich meine Fähigkeit, komplexe gesellschaftliche und kulturelle Zusammenhänge zu analysieren, menschliches Verhalten in unterschiedlichen Kontexten zu verstehen und kritisch über wichtige Themen zu refle tieren. Diese Kompetenzen bereichern nicht nur mein Studium, sondern nützen mir auch im Alltag.
Leider begegnen mir immer wieder Vorurteile gegenüber geisteswissenschaftlichen Studiengängen, darunter die Vorstellung, sie hätten keinen praktischen Nutzen. Diese Perspektive habe ich auch innerhalb meiner Familie zu spüren bekommen. Sie hätten es lieber gesehen, wenn ich finanziell abgesichert wäre und viele Möglichkeiten nach dem Studium habe. Ich denke, das liegt unter anderem daran, dass wir in die Schweiz migrierten und meine Eltern mit einer anderen Mentalität aufgewachsen sind. Noch öfter muss ich mich aber gegenüber Fremden rechtfertigen. Ich habe selbst lange überlegt, welche Studienrichtung meinen Interessen entspricht. Doch für mich bedeutet Bildung mehr, als nur den direkten Weg zum schnellen Einkommen zu wählen. Die Vielfältigkeit des Faches und die Möglichkeiten nach dem Studium haben meine Entscheidung für Kommunikationswissenschaften bekräftigt.»
Vincent: «Hingebungsvoll»
«In der vierten Klasse habe ich eines Tages alle Wikipedia-Artikel, die ich zu Napoleon finde konnte, verschlungen. Ich glaube, da begann meine Leidenschaft für Geschichte. Mittlerweile bin ich im Master und meine Freude für das Fach hält an. Ich denke, die Faszination führt bei mir zu einem inneren Forschungsdrang, der mich für mein Studium motiviert und mir das Arbeiten gar nicht wie Arbeiten vorkommen lässt – schon praktisch. Aber klar, wenn man eine Geistes- oder Sozialwissenschaft studiert, ist man oft mit Kritik und Unverständnis konfrontiert. Diese Erklärungsnot habe ich manchmal auch mir selbst gegenüber. Was wir erforschen, ist lange her. Aber ich kann nun bestätigen, Geschichte wiederholt sich. Ich sehe den Sinn meines Studiums hinter der Hoffnun, dass man aus diesen Wiederholungen lernt, dass die Leute erkennen, wie allgegenwärtig Geschichte ist und wie alles heute aus ihr entstand. Durch die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, wird ein kritischer Blick auf die Gegenwart erlernt. Ich möchte gerne meinen Beitrag zu diesem Lehrprozess leisten und später vielleicht an der Uni dozieren, forschen und eventuell selbst Bücher schreiben.
Ich denke aber, dass es vielen Geschichtsstudis an Tatendrang fehlt. Daher kommt vielleicht auch das Klischee der faulen Studierenden der Geisteswissenschaften. Um wirklich die Freude und den Sinn des Forschens und Herausfindens zu erfahren, muss man aktiv werden. Ich bin beispielsweise für meine Masterarbeit nach Indonesien gereist und habe mir meine Quellen eigenhändig aus deren Staatsarchiv geholt. Das ist jetzt vielleicht kein Massstab, aber ihr wisst, was ich meine. Geisteswissenschaft ist das, was man daraus macht! Dasselbe gilt auch für die spätere Jobsuche: Wer sucht, der findet und wer findet dem öffnen sich viele Türen. Mir war nie wichtig, später das grosse Geld zu machen, doch es gibt interessante und gut bezahlte Jobs. Ich arbeite nebenbei als Museumsführer und als Transkriptor für Denkmalpfle e im Staatsarchiv Thurgau, doch auch beim SRF haben viele Geschichte studiert.»