Professor für Philosophie und Spiegel-Bestsellerautor Robert Pfaller im Gespräch mit Philosophin und Moderatorin Barbara Bleisch.

Von philosophischen Speed-Dates

«Mit Gefühl» heisst das diesjährige Zürcher Philosophiefestival. Unsere Autorin berichtet von hitzigen Diskussionen über Opferrollen und der Nähe der Philosophie zur Politik.

20. Februar 2025

Es ist Donnerstagabend, der 23. Januar 2025, und somit der Auftakt des diesjährigen Zürcher Philosophie Festivals. Ich betrete das Kulturareal Mühle Tiefenbrunnen. Aus einem Bauchgefühl heraus entscheide ich mich, das philosophische Speed- Dating im Kornsilo zu besuchen, im Glauben, dass ich mir das Ganze aus sicherer Distanz anschauen kann. Es stellt sich heraus, dass ein Besuch automatisch bedeutet, daran teilzunehmen. So sitze ich nun auf einem alten hölzernen Stuhl an einem kleinen altmodischen Tisch mit frischen Blümchen drauf. Ein interessanter Bruch mit den hohen Betonwänden, den industriellen Metallrohren und den LED-Deckenleuchten des Raumes. Langsam füllt sich der Raum. Eine leichte Nervosität kommt auf. Nun diskutiere ich mit sechs Menschen für jeweils acht Minuten die Perspektive der Philosophie auf das (Mit-)Gefühl. 

Eine ältere Frau sitzt vor mir. «Welches sind die stärksten Gefühle? Welche können wir am besten greifen und warum?», überrumpelt sie mich nach dem Startsignal. «Zorn und Angst», antworte ich. Diese Gefühle verursachen meines Erachtens am ehesten Konsequenzen in unserem Handeln. Es seien für mich die Gefühle, erkläre ich, die oft auf beobachtete oder erlebte Ungerechtigkeit zurückgehen. Mein Gegenüber meint, dies seien deshalb oft auch politische Gefühle. Ich frage mich, ob es so etwas wie politische Gefühle überhaupt gibt, komme dann zum Schluss, dass alles politisch ist und unsere Gefühle da keine Ausnahme bilden. 

Schamlos saufen und rauchen 

Einen Chai später betrete ich das Millers Theater, ein grosser dunkler Raum. Er ist voll, es herrscht heitere Stimmung, die Vorfreude auf die Eröffnungsveranstaltung mit Robert Pfaller und Barbara Bleisch ist spürbar. Das SRF ist vor Ort, denn es handelt sich bei dieser Veranstaltung um eine «Sternstunde Philosophie», und das Publikum kann Bleisch noch beim Touch-Up ihrer Maske beobachten. Nach einem inszenierten Applaus startet die Fernsehaufnahme und das Gespräch beginnt. Der österreichische Philosophieprofessor und Spiegel-Bestsellerautor Robert Pfaller lässt die Gefühle hochkochen. Der Frage, ob uns Menschen die Lust aufgrund von Scham abhandengekommen ist, nachgehend, meint Pfaller mit seinem charismatischen Akzent, dass das Zügeln unserer Lüste einem kindischen Kontrollwahn ähnelt. 

Wir sollen schamlos saufen, rauchen, Party machen und Sex haben. Es sei schändlich, auf die Gesundheit oder die Lebenserhaltung und gegen die eigenen Gelüste versessen zu sein. Jedoch stösst Pfallers Hedonismus, wenn es um die Ästhetik unserer Körper geht, an seine Grenzen, denn ihm zufolge haben wir eine «Verpflichtung, uns im öffentlichen Raum anmutig zu bewegen.» Er kritisiert damit nicht nur die Body Positivity Bewegung, sondern meint tatsächlich, dass, wenn jemand schon dick ist, die Person sich dann immerhin elegant wie eine Flamencotänzerin geben und nicht wie eine Ente herumwatscheln soll. Ich spüre eine leichte Verstimmung in mir aufkommen und ich habe das Gefühl, dass es den Menschen, die neben mir sitzen, ähnlich geht. Es stört mich, dass ich Pfallers hedonistisches Argument durch diese Inkonsistenz nun nicht mehr wirklich ernst nehmen kann. 

Am Limit von Moral und Mitgefühl 

Es naht bereits der zweite Abend des Festivals und ich freue mich über einen Platz in der zweitvordersten Reihe im Millers Theater zur Veranstaltung «Zu viel verlangt. Am Limit von Moral und Mitgefühl» mit Philipp Hübl und Şeyda Kurt, die übrigens die einzige rassifizierte Person unter den 33 Mitwirkenden ist. Von Beginn an ist klar: Diese Veranstaltung ist eine hitzige und doch konstruktive Diskussion über moderne moralische Probleme. Während Hübl heutige moralische Debatten als Show bezeichnet und findet, dass wir uns gerne in Opferrollen begeben oder uns zu oft mit Empörung schmücken, vertritt Kurt den Standpunkt, dass man sich einen Opferstatus meist mühselig erkämpfen muss und Gefühle oft strategisch genutzt werden, nicht nur um sich zu schmücken, sondern auch um Politik zu betreiben und beispielsweise Gehör für Unterdrückte zu schaffen. 

Spürbar geistig angeregt verlasse ich das Theater nach der Veranstaltung und finde mich in einer Plauderei mit den deutschen Gästen Fabian Bernhardt und Ole Liebl sowie der Veranstalterin Simone Haug wieder. Freudig unterhalten wir uns darüber, wie Stefan Büsser am folgenden und letzten Festivalabend sturen cis Männern die Philosophie näherbringen soll. Die zwei schwärmen von der Schweizer Freundlichkeit und darüber, dass Schweizer Philosophiefestivals den deutschen in einigem voraus wären. Ich habe keinen Vergleich, doch ich stimme ihnen zu: Das Philosophiefestival war ein grosser, geistreicher und genüsslicher Erfolg.