Editorial #1/25
Im Geiste — «Was bringt es der Schweiz, wenn Reto Philosophie studiert? So wird er nie etwas zum exponentiellen Wachstum des BIP beitragen.» Solche Aussagen fallen häufig, wenn Gesellschaft und Medien wieder mal über die Daseinsberechtigung der Geistes- und Sozialwissenschaften diskutieren.
Dass der Grossteil der NZZ-Beleg- schaft einen ebensolchen Abschluss vorweist, hindert sie nicht an der Verbreitung verzerrter Wahrnehmungen wie «Geschichtsstudis kiffen nur und lernen nie». Die Vorurteile sind lang gestreut und tief verankert. So suchen sie die Gespräche über Zukunftspläne am Familientreffen heim.
Dabei reicht das Problem weiter als über den heimischen Tellerrand. Die Legitimationskrise scheint gegeben. Niemand fragt mehr, ob es sie tatsächlich gibt oder die Debatte rein aus parteipolitischem Interesse befeuert wird.
Wir haben uns dem Diskurs angenommen und sind der Frage nachgegangen, woher die Zweifel an einigen der ältesten Studienfächern der Welt kommen. Die Dekanin der philosophischen
Fakultät, Katharina Michaelowa, erzählt, weshalb die «Krise der Geisteswissenschaften» an den Haaren herbeigezogen ist (S. 13) und sechs an der Fakultät eingeschriebene Studis berichten, worin sie den Sinn ihres Studiums sehen (S. 10-11). Welche Stimmen die Diskussion prägen und wer um die Deutungshoheit über die drängendsten Probleme unserer Zeit kämpft, ordnet unser Autor ein (S.12).
Zudem richten wir den Blick nach Osten, auf die Proteste in Serbien, wo sich Studierende und Dozierende aller Fakultäten zusammenschliessen, um der Regierung Widerstand zu leisten (S.7). Der Nutzen der Geistes- und Sozialwissenschaften sollte uns allen klar sein.
Doch gerade im Angesicht der Anstrengungen unserer serbischen Kolleg*innen springt die Wichtigkeit von demokratischen Prozessen, der Erforschung von Herrschaftsformen und der Fähigkeit von Wissenschaftler*innen, das Geschehen einzuordnen, ins Auge.