Lieber Politik als noch mehr Werbung

Seit Februar diesen Jahres hat Meta die Reichweite von politischen Inhalten auf den sozialen Plattformen Instagram, Facebook und Threads eingeschränkt. Das hat Folgen für die Nutzer*innen und die Demokratie.

5. Dezember 2024

Auf den Meta-Plattformen Instagram, Facebook und Threads werden Posts, die zur Kategorie Politik gezählt werden, weiterhin toleriert, den Nutzer* innen aber nicht mehr empfohlen. Das heisst, dass der Algorithmus politische Inhalte nicht mehr berücksichtigt: Sie erscheinen weder auf der Explore-Page noch als vorgeschlagene Posts im Feed. Angezeigt werden nur noch politische Inhalte von Konten, denen man bereits folgt. Ändern kann man dies in den Einstellungen. «Politischer Inhalt» ist dort standardmässig eingeschränkt, kann aber von den Nutzer*innen wieder eingeschaltet werden. Nun könnte man sagen: Ist doch gut! Wieso muss Politik allgegenwärtig sein? 

Die durchschnittliche Schweizer*in ist 2 Stunden pro Tag am Handy, bei Jugendlichen sind es sogar 5 Stunden pro Tag. Diese Dauerbeschallung stresst ungemein; umso mehr, wenn viele dieser Posts politische Propaganda oder Rage-Bait sind. Viele Inhalte auf den sozialen Medien, die man instinktiv als politisch bezeichnen würde, rufen genau solche Reaktionen hervor. Spätestens in der Kommentarspalte sind die Gemüter erhitzt und der Herzschlag auf 180. Doch es gibt auch zahlreiche Creators, die sich auf der Plattform sinnvoll engagieren und den Nutzer*innen politische Inhalte spielerisch oder vereinfacht nahebringen.

Ignoranz ist nicht die Lösung 

Für die arabischen Revolutionen der 2010er-Jahre etwa spielten die sozialen Medien eine wichtige Rolle: Ein grosser Teil der Mobilisierung fand im Internet statt. Ausserdem konsumieren immer mehr Leute gar keine traditionellen Medien mehr. Sie kommen mit Politik nirgends mehr in Berührung, wenn sie nicht wollen. Fast alle, die im Internet über Politik aufklären, leisten einen Beitrag zur Erhaltung der Demokratie – ob Revolutionär* innen in von Autokrat*innen regierten Ländern oder Polit-Influencer* innen in der Schweiz. Darum: Besser auf dem Handy als nirgends! Der Denkreflex, weniger Politik in den sozialen Medien mit einer Verbesserung der mentalen Gesundheit zu verbinden, ist zwar verständlich. Bekanntlich macht sogar Bundesrat Ignazio Cassis von den Vorteilen eines News-Detox Gebrauch: «Ich lese keine Zeitungen mehr. Sie sind nicht gut für mich», sagte er letztes Jahr an einer FDP-Wahlveranstaltung. Das Handy begleitet eine*n nämlich, nicht wie eine Zeitung oder das Radio, überall hin. Es wird ständig konsultiert: am Arbeitsplatz, im Tram, auf dem Klo. Und mal ehrlich, was hat Donald Trump in unseren Schlafzimmern verloren? 

Doch es gibt auch einen Trade- Off zwischen dem Zen-Zustand der Ignoranz, der sich einstellt, wenn man das Internet und die Politik aus seinem Leben verbannt, und der Pflicht der mündigen Bürger*in, sich über den Zustand der Welt zu informieren. Aus der Position eine*r privilegierten Schweizer*in ist es leicht zu sagen, dass es einem im Alltag ohne Politik besser geht – gerade weil man nicht täglich mit Vorurteilen oder Diskriminierung zu kämpfen hat. Zudem ist nicht klar ersichtlich, wie Meta den Begriff «politisch» definiert. In den AGBs des Konzerns werden drei Themenfelder genannt: «Regierungen», «Wahlen» und «soziale Themen». Wo wird die Grenze gezogen? Ein Video, das über fehlenden Zugang zu Periodenprodukten aufklärt: politisch oder nicht? Ein veganes, klimafreundliches Kochrezept: politisch oder nicht? Ein Post von einem jungen Mann, der im Ferrari über die Autobahn rast: politisch oder nicht?

Wer bestimmt, was politisch ist? 

Gerade die dritte Kategorie, «soziale Themen», ist extrem breit gefasst und bringt die Gefahr mit sich, vor allem Beiträge von oder über Personen zu sperren, deren gesamte Identität politisiert wurde. Dazu gehören zum Beispiel People of Colour oder queere Menschen. Die Deutungshoheit über Politik einem Konzern zu überlassen, ist umso heikler. Als Meta die Änderung ankündigte, versicherte der Konzern ebenfalls, man wolle sich nicht einmischen und Nutzer*innen politische Posts vorenthalten, wenn sie diese unbedingt sehen wollten. Man wolle sie bloss nicht mehr von sich aus empfehlen. Eingegriffen wird natürlich trotzdem: Die Funktion «Politischer Inhalt» wurde stillschweigend auf allen Profilen ausgeschaltet, statt Nutzer*innen die Möglichkeit zu geben, sie selbst auszuschalten. 

Zufällig wird das wohl nicht sein. Denn wer seine Zeit im Internet nicht damit verbringt, über Politik zu streiten, hat mehr Kapazität, sich Werbungen anzuschauen und Geld auszugeben. Darauf basiert schlussendlich Metas gesamtes Geschäftsmodell. So schön eine Rückkehr zum Social Media der 2000er, als Bilder von Bergen die meistgelikten auf der Plattform waren, also klingt: Das wird nicht möglich sein. Politische Posts zu verbannen, wird Social Media nicht zu einem angenehmeren Ort machen, sondern bloss mehr Platz für Werbung und masslosen Konsum schaffen.