Kay Matter hatte seinen Durchbruch mit dem Stück «Grelle Tage», das 2023 im Suhrkamp Verlag erschien.

«Komik kann tröstlich sein»

Kay Matter ist preisgekrönter Dramatiker. Dieses Jahr erschien sein erstes Prosawerk. «Muskeln aus Plastik» setzt sich mit Transness, Long Covid und Vorstellungen über den gesunden Körper auseinander.

Esteban Neugebauer (Text und Foto)
5. Dezember 2024

«Muskeln aus Plastik» ist dein erstes Prosawerk. Wie hat sich das Schreiben eines Romans vom Schreiben eines Theaterstücks unterschieden? 

Beim Theater denkt man immer schon an das Gesprochene und dessen Klang. Das macht etwas mit dem Schreiben. Für mich findet Prosa oder diese Mischform, die ich im Roman geschrieben habe, eher im Stillen statt. Da kann ich mir eher erlauben, mal in die Breite zu gehen, ohne dass es gleich eine krasse Zuspitzung gibt. Bei Prosa gibt es die Möglichkeit, mit assoziativen Zusammenhängen zu arbeiten und Dinge langsamer zu verknüpfen, die vielleicht weiter auseinanderliegen. Auf der anderen Seite erlaubt sie auch eine essayistische Genauigkeit. Und auch die Rezeptionsform ist anders. Prosa liest jemand für sich alleine und an verschiedenen Orten. Das ist beim Theater schon sehr anders, wie auch die Unberechenbarkeit von Geschehnissen in der Inszenierung. 

Dein Buch umfasst Themen wie chronische Erkrankungen, Transness, Liebe und Fürsorge. Was hat dich dazu bewegt, darüber zu schreiben? 

Weil das persönliche Themen sind, die Fragen aufwerfen. Gerade in dieser Kombination gibt es dazu nicht viel zu lesen, vor allem nicht im deutschsprachigen Raum. In der englischsprachigen Literatur tauchen zwar oft chronische Erkrankungen oder Queerness auf, aber nur selten explizit zusammen. Bücher können einen weniger allein mit etwas fühlen lassen. Das ist sehr tröstlich und schön. Diese spezifische Kombination von Themen wirft viele Fragen auf, weil es immer nur Rollen, Angebote oder Vorbilder für trans oder maskuline Personen gibt, die mit Fitness oder Sport zu tun haben. Wenn man von einer Norm abweicht, wie es Transness an sich hat, dann muss man das in allen anderen Bereichen wie zum Beispiel Begehrlichkeit überkompensieren: Man muss mega fit, übelst gepflegt und gut aussehen. Das findet sich auch in schwuler Kultur wieder. 

Was war für dich die grösste Herausforderung beim Schreiben deines Buches? 

Zwei Sachen: Einmal die Struktur und die Form finden, weil ich krass assoziativ arbeite und dann erstmal ganz viel sammle. Das in eine Form zu geben und mich vor allem auch zu beschränken, finde ich richtig schwierig. Sich dann auf etwas festzulegen, zu reduzieren und anderes rauszuschmeissen; das ist hart und dauert bei mir. Das Schreiben finde ich gar nicht schwierig. Und sonst das Krank- und Schlappsein: Ich konnte jeweils nur kurz am Stück dran arbeiten und es nimmt dich auch mental sehr mit, wenn du krank bist. Das kostet auch alles Kraft beim Schreiben. 

War das Schreiben des Romans für dich therapeutisch? 

Auf eine Art. Es ist im deutschsprachigen Raum so verpönt, wenn Schreiben einen therapeutischen Zweck erfüllt. Aber ich finde, es kann sehr heilsam sein. Viele Autor*innen regulieren sich darüber und kommen klar, indem sie schreiben. Wenn man etwas Schmerzhaftes in einen Text umarbeitet, dann wird es erstmal interessant oder schön. Es kriegt eine ästhetische Form und das ist sehr sinnstiftend und tröstlich. Ich habe mich bei einigen Stellen im Buch beim Lachen erwischt. 

Wie hast du die Balance zwischen Humor und ernsthaften Momenten gefunden? 

Ich glaube, es ist ein sehr gängiges Missverständnis, dass Komik und Schmerz in irgendeiner Weise im Widerspruch stehen. Ich habe sogar das Gefühl, die sind ganz nah zusammen. Es ist auch sehr unterschiedlich – je nach Lesung – ob Leute lachen oder nicht. Ich denke beim Schreiben nicht so bewusst darüber nach, also nicht an eine Punchline. Das kommt intuitiv. Das interessiert mich auch beim Theaterschreiben, dieses sehr Ernste, aber auch absurd Witzige. Das gehört für mich zusammen und wenn ich lese, will ich auch unterhalten sein. Komik kann auch sehr tröstlich sein. 

Selma Kay Matter ist 1998 in Zürich geboren. Sein Theaterdebüt «Grelle Tage» wurde mehrfach ausgezeichnet. 2023 erhielt Matter den Nestroy-Theaterpreis. «Muskeln aus Plastik», Matters erstes Prosawerk, erschien 2024 im Carl Hansen Verlag. Erhältlich im Paranoia City für 32.90 Fr.

Willst du in Zukunft weiter Romane schreiben oder willst du dich mit Theaterstücken befassen? 

Beides. Ich finde es cool, wie sich das gegenseitig ergänzt. Das Buch hat sich szenisch und im neutralen Denken voll auf mein Schreiben ausgewirkt, also positiv. Umgekehrt habe ich viel mehr Lust, Monologe zu schreiben und mich auch zu trauen, die Figuren auf der Bühne mal ein bisschen was erzählen zu lassen. 

Wie fühlt es sich an, deine eigenen Werke auf der Bühne zu sehen? 

Kommt darauf an, wie die Inszenierung ist. Da ist alles von Scham bis totale Erfüllung dabei. Wenn es so ist, dass ich mich darin irgendwie wiederfinde und das Gefühl habe, dass etwas von meiner Vision angekommen ist, ist es toll. Oft verstehe ich erst dann das volle Ausmass dessen, was ich geschrieben habe, wie traurig oder berührend es ist. Es ist auch spannend, ein Projekt irgendwann abzugeben und zu sehen, was andere damit machen. Aber es ist krass, denn durch das Sprechen auf der Bühne kann man sich kein falsches Wort und keinen schlechten Satz leisten. 

Wie kommt dir eigentlich eine Idee zu einem Theaterstück? Dient dir dein Leben als Inspiration? 

Ich glaube, man kann das auf mein Schreiben allgemein ausweiten. Ich gehe nicht oft davon aus, eine Geschichte zu erzählen. Eigentlich fängt es immer damit an, dass ich eine Intuition habe und irgendein Problem, ein Spannungsverhältnis oder eine ungelöste Frage hängen bleibt. Bei «Grelle Tage» war der Ausgangspunkt, dass ich von einem aufgetauten, dreizehntausend Jahre alten Welpen gelesen habe. Das Bild war einfach so abgefahren, dass ich mich die ganze Zeit nur damit beschäftigen konnte. 

Mittlerweile hat sich der Begriff einer queeren Literatur durchgesetzt. Denkst du, dass es solche Begriffe braucht? 

Ja, I guess. Ich finde es im Moment noch sinnvoll, diese Bücher so zu markieren, denn es gab auch einen Trend, dass queere Bücher nicht als solche erkennbar waren. Ich glaube, dass das auch etwas damit zu tun hatte, dass Verlage ihre hetero Leser* innen nicht abschrecken wollten. Das finde ich schon blöd. Wenn man als queere oder hetero Person etwas Queeres lesen will, soll es leicht zu finden sein. Zugleich ist es auch wichtig, nicht darauf reduziert zu werden. Aber es ist auch eine Formfrage – man sagt ja auch «Queering the Narrative». Grundsätzlich versuche ich in einer Form zu schreiben, die machtkritisch ist und gegebene Machtverhältnisse denormalisiert. 

Was möchtest du queeren Autor* innen, die in der literarischen Szene Fuss fassen wollen, sagen? 

Es ist einfach wichtig, zu schreiben. Es ist so banal, aber ich wurde auch schon gefragt, was meine Schreibroutinen sind. Es ist egal, ob man einmal am Tag eine Stunde schreibt, oder jeden Tag um so und so viel Uhr. Viel wichtiger ist es, dranzubleiben und immer wieder zu schreiben. Das dauert halt und ist zwischendurch auch zäh.