Hommage ans Zürcher Technoerbe
Das digitale Musikprojekt «Tram und Bass» feiert Zürichs elektronische Musikszene. 30 DJs von damals und heute bespielen die Tramlinien der Stadt.
Seit dem 15. November rollt ein innovatives Kunstprojekt durch die Zürcher Strassen. 30 DJs interpretierten je eine durch das Rückfenster gefilmte Tramfahrt auf musikalische Weise. Unter dem Titel «Tram und Bass» präsentieren der soziokulturelle Verein Baustell und das musikorientierte Kollektiv RTFM aus Zürich das Projekt. Es vereint zwei Kultphänomene der Stadt Zürich – das Tram und die elektronische Musik.
Die Umsetzung kann nun audiovisuell auf ihrer Website entdeckt werden. Aurelian, Mitwirkender bei «Tram und Bass», meint: «Solche Projekte leben von Vernetzung und kulturellen Überschneidungen. Die zwei Jahre, die wir zusammen daran gearbeitet haben, haben es überhaupt erst möglich gemacht: Was man heute sieht, die Plattform, die Parties sind nur kleine Ausschnitte aus dieser Zusammenarbeit.»
Auftakt in den 90er-Jahren
Die drei Mitorganisatoren Aurelian Ammon, Carlo Natter und Dariush Mehdiaraghi heben den niederschwelligen Zugang zu ihrem Projekt hervor, denn die Plattform ist kostenlos zugänglich und die Nutzung intuitiv gestaltet, sodass das Projekt ein möglichst diverses Publikum erreicht. Alles, was es braucht, ist ein Handy plus Kopfhörer. Über einen simplen Klick können Nutzer*innen virtuell in ein Tram einsteigen und das Video sowie die dazu passende Musik entlang der verschiedenen Linien geniessen.
Wer sich auf den Weg begibt, kann nicht nur an den Haltestellen von Linie zu Linie wechseln und damit das Set variieren, sondern auch zusätzliche Informationen zu den Künstler*innen und deren Werk entdecken. Nebst der Zugänglichkeit war dem Kollektiv eine möglichst grosse Diversität bei der Auswahl der Künstler*innen wichtig. «Es sind nicht nur Artists aus der modernen elektronischen Musikszene vertreten, sondern auch solche, die die Szene schon lange mit ihren unterschiedlichen musikalischen Stilen geprägt haben», betont Mitinitiant Carlo.
Dies ermöglichte erst die derart vielseitigen Interpretationen des Zürcher Stadtraumes. Eine Eingrenzung wurde dadurch getätigt, indem nur Künstler*innen mit Wirkungsbereich in Zürich angefragt wurden. Auch wenn nicht auf alle Präferenzen eingegangen werden konnte, interpretierten gewisse Artists eine Tramlinie, zu der sie eine starke persönliche Verbindung hegen. So zum Beispiel die Künstlerin Viola Zimmermann. Seit sie in Zürich lebt, bewegt sich ein Grossteil ihres Alltags entlang der Tramlinie 2 und bereits in den 90er-Jahren fanden in ihrer Wohnung im Seefeld Afterparties statt. «Tram und Bass» ist eine Hommage an Zürichs Rolle in der Entstehung und Entwicklung der elektronischen Musikszene, die bereits in den frühen 90er-Jahren die Stadt prägte. Zürich galt damals als streng reguliert und eher provinziell.
Musik im Tram soll vernetzen
Durch das Aufkommen illegaler Raves, Technoclubs und der Street Parade änderte sich dies schlagartig. So war Zürich einer der ersten europäischen Orte, die die elektronischen Klänge einer jungen, aufgeschlossenen Generation aufgriff. Die Initiant*innen von «Tram und Bass» sehen nun aber genau dieses kulturelle Gut in Gefahr: Technoclubs schliessen und die Subkultur wird im Zuge der Gentrifizierung immer mehr an den Rand gedrängt.
Deshalb habe man sich vor etwa zwei Jahren zusammengesetzt, Ideen erarbeitet und Stiftungen für die Finanzierung angefragt. Das Projekt erhielt schliesslich finanzielle Unterstützung von verschiedenen Stiftungen, der Stadt Zürich sowie der VBZ. Letztere ermöglichten es ihnen zudem, Tramfahrten zu filmen, was einerseits aufgrund der rechtlichen Hürden ein besonderes Privileg darstellt, andererseits resultierte dies in 30 einzigartigen videografischen Relikten von Zürich. «Wenn man sich diese in 20 Jahren nochmal anschaut, ist das sicher unglaublich interessant, wie sich der Raum gewandelt hat», sagt Dariush. Wie facettenreich das Projekt ist, wird daraus ersichtlich, dass es nicht bloss auf den historischen Gehalt aufmerksam macht, sondern im Kern die Interaktion sowie den Diskurs rund um elektronische Musik anregt. Dabei wird das Tram als kulturelles Symbol der Vernetzung in Szene gesetzt, um das verbindende Potenzial der elektronischen Musik zu beleuchten.
«Tram und Bass» zeigt, dass die elektronische Musikszene Zürichs eben mehr als nur eine kleine Szene ist – sie ist ein Teil des kollektiven Gedächtnisses. «Der Raum, der hier Ende der 80er- und Anfang der 90er- Jahre durch eine veränderungsbereite Jugendkultur erkämpft wurde, darf nicht in Vergessenheit geraten», sagt Carlo. Die Hoffnung sei nun, durch die angeregte Diskussion rund um die elektronische Musik und deren weitreichende Hintergründe in Zürich, einen Stein ins Rollen zu bringen. Dadurch sollen Menschen miteinander vernetzt werden. So sollen sie die Motivation finden, sich für Freiräume und für unkommerzielle Veranstaltungen sowie Projekte innerhalb der elektronischen Musik zu engagieren.