Doch keine Konkurrenz
Die SRG verdrängt private Medien nicht, zeigt eine Studie der Uni Zürich. Im Gegenteil: Ein starker Service public kurbelt den Nachrichtenkonsum an. Eher fehlt es an Zahlungsbereitschaft von Staat und Bevölkerung.
Vor rund einem Monat fand die Medienkonferenz zum Jahrbuch «Qualität der Medien» 2024 an der Universität Zürich statt, das vom hiesigen Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) herausgegeben wird. Der Bericht gibt Auskunft über die Entwicklung der Qualität, Nutzung, Konzentration und Finanzierung der Medien in der Schweiz. Die Konferenz eröffnete Barbara Käch, Stiftungsrätin der Kurt Imhof Stiftung für Medienqualität, mit einem Plädoyer für die Zukunftssicherung des unabhängigen Journalismus. Gerade in Zeiten des Informationsüberflusses sei dieser unverzichtbar. Sie sagt auch: «Der jüngste Stellenabbau bei verschiedenen Medienhäusern hat deutlich gezeigt, unter welch grossen Herausforderungen die Branche leidet».
Dazu zählt neben KI, Deep Fakes und dem sich verändernden Nutzungsverhalten wie der News-Deprivaiton auch die Vereinbarung von öffentlichen und privaten Medien. Letzteres stellt neben dem journalistischen Einsatz von KI den Fokus der diesjährigen Untersuchung dar. Geprüft wurde die sogenannte «Crowding out»-These. Diese besagt, dass private Medien von öffentlichen Medien verdrängt würden. Begründet wird dies damit, dass der öffentliche Rundfunk der Schweizer Radiound Fernsehgesellschaft (SRG) kostenlose Inhalte anbietet, wodurch die Zahlungsbereitschaft der Nutzer*innen für private Angebote, insbesondere von Online-Kanälen, abnehme. Die Studie kommt aber zu einem anderen Schluss: Die SRG verdrängt unabhängige Medien nicht.
Weniger Geld für Print, keins für online
Die Forschenden untersuchten dazu die wöchentliche Nutzung von Pendler- und Boulevardmedien sowie Abonnementmedien aller Kanäle und teilten die Befragten nach dem Kriterium, ob sie Angebote der SRG nutzen, in zwei Gruppen ein. Dabei zeichnete sich ein klares Bild ab: SRG-Nutzer*innen konsumieren häufiger private Medien als Nicht-SRG-Nutzer* innen. Die Studie weist also auf einen der Verdrängungstheorie entgegengesetzten Trend hin: Der Konsum von einem Medium regt zum Konsum weiterer Medien an. Beim Nutzungsverhalten spielen besonders Faktoren wie Geschlecht, Alter, Sprachregion und das allgemeine Interesse an Nachrichten und Politik eine zentrale Rolle. Laut Studie verwenden die meisten der Befragten kostenlose, private Online-Medien. Diese werden vom Staat nicht unterstützt – anders als private Printmedien. Zwar gibt es keine direkte Subventionierung, dafür eine indirekte Presseförderung.
Diese besteht aus gesetzlich festgelegten Beiträgen für die Tageszustellung. Begünstigt werden abonnierte Tages- und Wochenzeitungen der Regional- und Lokalpresse mit 30 Millionen Franken pro Jahr sowie Printmedien nicht gewinnorientierter Organisationen der Mitgliedschafts- und Stiftungspresse mit 20 Millionen Franken jährlich. Diesen September empfahl die Gaillard-Kommission, bestehend aus beauftragten Expert*innen des Bundes, die indirekte Presseförderung gänzlich zu streichen. Camille Roseau, Co-Präsidentin des Verbands Medien mit Zukunft, findet das problematisch: «Für einzelne Zeitungen und Zeitschriften sind die Kürzungen existenzbedrohend, für die allermeisten eine schwere zusätzliche finanzielle Belastung. Für den Bundeshaushalt hingegen spielt das Geld, das hier eingespart werden könnte, nur eine sehr kleine Rolle.»
Eine vom Nationalrat angenommene parlamentarische Initiative forderte daraufhin eine Aufstockung der indirekten Presseförderung für die Tageszustellung der Regional- und Lokalpresse von 30 auf 45 Millionen Franken pro Jahr während 7 Jahren. Im gleichen Schritt strich der Rat jedoch die Beiträge für die Mitgliedschafts- und Stiftungspresse ersatzlos. Infolgedessen beriet die Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen des Ständerats die Vorlage. Diese stimmte der Aufstockung zu, möchte aber anders als der Nationalrat an den Beiträgen für die Mitgliedschafts- und Stiftungspresse festhalten. Darüber abstimmen wird der Ständerat in der Wintersession. Nicht eingegangen ist die Kommission auf eine Motion des Nationalrats, die eine Förderung von Online- Medien vorsieht. Roseau sagt: «Der Beschluss entspricht in keiner Weise dem Mediennutzungsverhalten der Schweizer Bevölkerung. Wichtige Online-Medien wie Tsüri.ch oder Die Hauptstadt gehen leer aus. Hier werden Print- und Online-Medien gegeneinander ausgespielt.»
Dass das Verhältnis von privaten und öffentlichen Medien auch die Schweizer Politik beschäftigt, zeigen die 2018 gescheiterte Volksinitiative «No Billag» und die noch anstehende «Halbierungsinitiative». Erstere forderte die Abschaffung der SRG-Gebühren, letztere eine Senkung der jährlichen Abgabe von 335 Franken auf 200 Franken. Dabei sollen auch Unternehmen von der geräteunabhängigen Gebührenpflicht befreit werden. Die Initiant*innen argumentieren, dass es sich um die weltweit höchsten geräteunabhängigen Radio- und Fernsehgebühren handle. Zudem würden Arbeitgebende doppelt bestraft, da sie als Unternehmen und als Privatperson zur Kasse gebeten werden. Dabei zahlen bislang rund 80 Prozent der Unternehmen keine Gebühren, da sie bei einem Jahresumsatz von bis zu 500’000 Franken bereits von der Abgabe befreit sind. Bei Annahme der Initiative würden sich die Gebühreneinnahmen von 1,23 Milliarden Franken auf 650 Millionen Franken verkleinern – eine radikale Kürzung. Medienminister und SVP-Bundesrat Albert Rösti schlägt stattdessen eine Senkung der Gebühren von 335 auf 300 Franken bis 2029 vor. Bis zum 1. Februar läuft nun die Vernehmlassung zum Vorschlag des Bundesrats; bis dahin können sich Interessenkreise dazu äussern.
Unmut bei privaten Anbietern
Es scheint nachvollziehbar, dass die «Crowding out»-These besonders im Kreise privater Medien verbreitet ist: Sie macht einen anderen, staatlichen Akteur für die strukturellen Probleme verantwortlich, mit denen sich private Medien konfrontiert sehen, und lenkt somit von deren Ursachen ab. Dass es sich beim SRF um ein gebührenfinanziertes Angebot handelt, wird hierbei aber ausser Acht gelassen. Laut Linards Udris, stellvertretender Leiter des fög, ist die SRG sogar gesetzlich dazu verpflichtet, auf private Medien Rücksicht zu nehmen, weshalb es sich bei Phänomenen wie dem «Crowding out» um einen Verfassungsverstoss handeln würde. Und trotzdem gaben manche Voten aus dem Publikum der Konferenz zu denken. So sagte Stefan Wabel, Geschäftsführer des Verlegerverbands Schweizer Medien: «Wir sind von den Ergebnissen hochgradig irritiert.»
Wabel bemängelte, es seien die falschen Fragen gestellt und Faktoren wie Zeitbudget und Nutzungsintensität nicht miteinbezogen worden. Nach ihm würden mehr Menschen für private Medien zahlen, wenn es die SRG nicht gäbe. Er schloss mit den Worten: «Aus unserer Sicht ist diese Studie ungenügend.» Das fehlende Vertrauen in die Wissenschaftlichkeit der Studie ist angesichts zunehmender Desinformation erschreckend – und aus demokratiepolitischer Sicht gefährlich. Udris betonte, dass Studien zu hypothetischen Szenarien mit Vorsicht zu geniessen seien. Dennoch verwies er auf eine Publikation, die das potenzielle Medienkonsumverhalten in Österreich im Falle einer Abschaffung des staatlichen Rundfunks ORF untersuchte.
Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass Mediennutzer*innen bei einer Absetzung des ORF vor allem zu kostenlosen Online-Medien und den sozialen Medien abwandern und nur ein geringer Teil zu Abonnementsmedien wechseln würden. Die Zürcher Studie zeigt zudem, dass nur 3,5 Prozent der Befragten ausschliesslich Angebote des SRF konsumieren. Eine grosse Konkurrenz für private Medien ist es also nicht. Viel wichtiger sind die strukturellen Herausforderungen für die Journalismusbranche, zum Beispiel die Auswirkungen der Streichung von Presseförderung sowie der Senkung der SRG-Gebühren auf den Regional- und Lokaljournalismus. Schliesslich gelten laut Udris demokratische Staatssysteme mit einem dualen Mediensystem – einer Kombination aus starken unabhängigen und staatlichen Medien – als gesunde Demokratien.