Heisse Ware
Immer mehr Menschen steigen auf den Secondhand-Trend auf. Wie nachhaltig die Kleidung wirklich ist und warum sie heute als Luxus gilt.
In Zürich boomts
Einfach mal den Kopf freikriegen und ein bisschen thriften: Wer sich das zur Entspannung vornimmt, muss sich auf böse Überraschungen gefasst machen. Nach hochwertigen Kleidungsstücken unter 50 Franken sucht man lange; egal ob im Brocki oder einem Secondhandladen, der nur Luxusmarken im Sortiment hat. Längst vorbei sind die Zeiten, in denen Secondhand-Mode hauptsächlich von Menschen mit geringen finanziellen Mitteln gekauft wurde. Spätestens mit Macklemores Hymne «Thrift Shop» ist Secondhand-Shopping zu einer gängigen Einkaufspraktik in urbanen Hipsterkreisen geworden. Auch im Internet boomt der Secondhand-Trend, auf Plattformen wie «Depop» oder «Vestiaire Collective». Neu ist jedoch, dass der Trend nun immer mehr das hochpreisige Luxussegment erreicht hat. In den letzten Jahren sind zahlreiche Secondhandläden dieser Sorte in Zürich aufgetaucht. Der Laden «The New New» im Kreis 6 ist spezialisiert auf hochwertige Basics, die an die Ästhetik von Marken wie Acne Studios oder COS erinnern. Bei «Lovemetwotimes» an der Dienerstrasse findet sich hingegen der für hippe Secondhand-Shops typische Mix aus gebrauchten Levi’s-Jeans, Lederjacken und Mänteln sowie 90er Jahre Vintage-Hoodies. «Hand2Hand» verkauft «Supreme», «A Bathing Ape» und «Ralph Lauren» – allesamt gehobene Streetwear-Marken.
Der Secondhand-Boom wird durch zwei gesamtgesellschaftliche Entwicklungen unterstützt: Nachhaltigkeit und Individualismus. Beim Kauf von Secondhand-Kleidung darf man ein gutes Gewissen haben, denn es wird nichts neu produziert, und damit entfallen die Emissionen, die mit der Herstellung und dem Transport neuer Mode verbunden wären. Als Bonus erhält man ein einzigartiges Kleidungsstück, das niemand anderes trägt. Doch wie nachhaltig ist Secondhand-Mode wirklich? Und wie viel Individualität bleibt, wenn der Secondhand-Trend inzwischen so weit verbreitet ist, dass so viele auf ihn aufspringen?
Zwei Seiten einer Medaille
Secondhand-Mode unterliegt längst denselben schnelllebigen Trends wie Fast Fashion. So sind etwa «Low-Waist-Jeans» oder Vintage-Fußballtrikots derzeit gefragte Artikel in Secondhand-Läden – Trends, die von großen Fast-Fashion-Marken schnell aufgegriffen und in günstig produzierten Versionen massenhaft kopiert werden. Anscheinend geht es für viele Käufer*innen beim Kauf von Secondhand-Mode nicht mehr nur darum, etwas zu finden, das sie wirklich brauchen – vielmehr steht die Befriedigung eines Konsumbedürfnisses im Vordergrund. Obwohl der Kauf von Secondhand-Kleidung keine grösseren neuen Emissionen verursacht, bleibt sie oft nur eine Ergänzung zu Neukäufen. Inzwischen haben auch Fast-Fashion-Marken den Secondhand-Trend erkannt und bieten zunehmend eigene Programme zur Rücknahme gebrauchter Kleidung oder Secondhand-Pop-up-Verkäufe an. Letztlich bleibt die Secondhand-Mode also keine Revolution gegen die kurzen Konsum- und Hype-Zyklen der Modebranche – vielmehr scheint sie diese zu unterstützen und zu verstärken.
Wie nachhaltig ist Secondhand-Kleidung wirklich?
Secondhandläden versuchen dem auf verschiedene Weisen entgegenzuwirken. Das Nachhaltigkeitskonzept von «Lovemetwotimes» wirkt vielversprechend: Wie die Ladenbesitzerin in einem Gespräch erklärte, werden die Modestücke von Einzelpersonen abgekauft, die dafür sofort Geld erhalten, ohne dass zwischengeschaltete Händler involviert sind. Auf diese Weise gelangen Kleidungsstücke von denen, die sie nicht mehr benötigen, zu denjenigen, die bereit sind, dafür zu bezahlen. Damit Secondhand-Käufe tatsächlich nachhaltig sind, müssten sie den Kauf neuer Kleidung ersetzen. Doch aktuelle Daten zeigen eine andere Entwicklung: Laut einer Studie von «thredUP», einer Plattform für den Wiederverkauf von Mode, wuchs der Secondhand-Markt 2023 um 18 Prozent. Gleichzeitig wuchs jedoch auch der Markt für neue Mode um 5 Prozent, wie der «State of Fashion 2024»-Report von McKinsey belegt. Es wird also insgesamt mehr konsumiert – gebrauchte sowie neue Kleidung. Folglich findet keine nennenswerte Reduzierung des Gesamtkonsums und der damit verbundenen Umweltbelastungen statt. Ein weiterer Faktor, der die Nachhaltigkeit relativiert, ist der sogenannte Rebound-Effekt: Oftmals wird das Geld, das durch den Kauf von Secondhand-Kleidung eingespart wird, in andere Konsumgüter gesteckt. Dieser Ersatzkonsum verringert den positiven Umwelteffekt erheblich.
Preise steigen
In vielen neuen Secondhand-Läden liegen die Preise deutlich über denen traditioneller Flohmärkte, Altkleiderläden oder sogar von Fast-Fashion-Ketten. Mit der Preissteigerung geht auch eine Änderung des Ambientes der Läden einher: Anstelle von Wühlkisten, in denen alles zu einem Bruchteil des Neupreises angeboten wird, finden sich hier sorgfältig ausgewählte Produkte, die perfekt ins Konzept des Ladens passen. Diese Veränderung könnte auf das gestiegene Bedürfnis nach Exklusivität und Individualität zurückzuführen sein. In einer Gesellschaft, die zunehmend von Massenproduktion und Konsum geprägt ist, suchen immer mehr Käufer*innen nach Wegen, sich durch ihre Kleidung von der Masse abzuheben. Secondhand-Mode bietet die Möglichkeit, einzigartige Stücke zu finden, die oft nicht mehr produziert werden und daher ein Gefühl von Einzigartigkeit und Seltenheit vermitteln. Diese Jagd nach versteckten Schätzen ist eine zentrale Motivation, Gebrauchtes zu kaufen. Marketingforscher*innen Denis Guiot und Dominique Roux bezeichnen dies als «Treasure Hunting». In einer Studie aus dem Jahr 2010 untersuchten sie das Konsumverhalten in Secondhand-Läden und zeigten auf, dass das Entdecken spezieller Stücke, die ein Eigenleben besitzen, für viele Käufer*innen das Secondhand-Shoppen ausmacht. Dieser Wunsch nach Authentizität und Originalität spielt eine zentrale Rolle in der heutigen Konsumkultur, die mitunter als «Gesellschaft der Singularitäten» beschrieben wird – ein Begriff, den der Soziologe Andreas Reckwitz geprägt hat. In dieser Gesellschaft wird das Besondere und das Einzigartige zunehmend zum Statussymbol, das ie Träger*in von anderen unterscheidet. Käufer*innen sind bereit, für dieses Gefühl der Besonderheit und Individualität mehr und mehr zu bezahlen. Wo die Nachfrage steigt, steigen nunmal auch die Preise. Durch diese Preissteigerung wird Secondhand-Mode zunehmend zum Luxusgut – ein Paradox, wenn man bedenkt, dass sie ursprünglich als kostengünstige und zugängliche Alternative zu Neuware galt.
Am Secondhand-Hype lässt sich vieles kritisieren – von der Gentrifizierung des Marktes bis hin zur Frage, wie nachhaltig dieser Trend wirklich ist. Trotz aller Bedenken bleibt der Kauf gebrauchter Kleidung aber die deutlich bessere Alternative zum Neukauf.