Gletschergeschichten
Ich kam oben an und es war niemand da. Der Parkplatz war leer und das Café geschlossen, die Sonne stand noch hinter dem Berg. Kleine Dunstwolken kamen aus meinem Mund. Alles war blau. Ich schaute durch die verdreckten Fenster in das alte, verbarrikadierte Hotel. Es wiederzubeleben hatte nie wirklich funktioniert.
Instinktiv ging ich auf die Gleise zu. Ich entdeckte ein rundes betoniertes Loch. Eine schwere Drehplatte befand sich in seiner Mitte. Ich stieg aber nicht hinunter, aus Angst, dass sich das Ding aktivieren könnte, denn ein Geistervolk streunte um mich herum. Ich versuchte, mich nicht ablenken zu lassen und gute Winkel für den Alten Kasten, das alte Personalhaus – im Sucher zu finden. Mein Rucksack lag weiter weg, gegen den kalten Stahl gelehnt, zwischen den blauen Steinen und den Pflanzen, die noch mit Frost bedeckt waren.
Der Alte Kasten, aus Steinen und mit seinem Zinkdach, entstand im Zuge der technischen Fortschritte der letzten Jahrhundertwende am Fusse des Gletschers. Schwere Industrie; schneller, aber nicht schnell genug, denn wir, wir waren schneller und mussten hier nicht mehr sein. Ich probierte noch we tere Winkel aus, lief den Gleisen entlang und liess meinen Rucksack dort am Boden liegen. Die, die im Schatten des Berges verdammt waren, scharten sich langsam um mich, mit ihren drehenden Ombrellen; schwebend, wie der milchig blaue Fluss, wie ein Fischschwarm kamen sie mit mir entlang.
Sie waren harmlos. Ich kannte die Geschichten und war gewarnt worden. Sie waren diejenigen, die im Gletscher vermisst wurden und würden mit ihren Ombrellen im blauen Licht weiter wandeln, solange es den Gletscher noch gab. Doch wie Glühwürmchen tauchten sie in der Erinnerung auf. Wenn man zu lange im Schatten ihrer tanzenden Ombrellen verweilte, vergehe viel Zeit und man erkenne die Welt nicht mehr, wenn man wieder zu sich kehre. Die Sonne kam über den Berg und zerstreute alle Schirme. Ich war wieder allein. Ich packte meine Kamera ein und lief weiter ins Tal hinein. Alles war orange und gold.
