Party in voller Fahrt
An der Europaallee treten die Zürcher*innen im «Open Ride» zu Technobeats und Livemusik in die Pedale. Unsere Autorin hat sich in den Fitness-Club gewagt.
In meinen Ohren dröhnt der Bass, ich spüre ihn bis in meinen Bauch. Licht flitzt durch die Neonröhren, über und neben mir – rot und blau und grelles Weiss. Ich höre meinen Atem, nehme im Augenwinkel die synchronen, abrupten Bewegungen der Personen neben mir wahr. Wir bewegen uns alle im Gleichtakt, wie ein absurder Tanz, perfekt choreografiert. Naja, zumindest annähernd perfekt, denn ich habe ein bisschen Probleme mit der Koordination meiner Arme und Beine.
Vor fünf Jahren gründete Eva Nidecker das Cycling-Studio Open Ride an der Europaallee. Die charmante Baslerin begrüsst mich herzlich und erklärt mir gleich, wo alles ist. Gewichte für die Handgelenke, Handtücher und Schuhe in meiner Grösse liegen schon bereit. Auch in der Umkleidekabine fehlt es an nichts: Trockenshampoo, Haarspray, Deo und Glätteisen für alle. Musik sei das Grundelement, was hier alle im Studio verbindet. Darauf baut auch ihr Konzept auf: Ein Auspowern, das in Spass verpackt wird und Teilnehmer*innen in den Bann ziehen soll; einfach loslassen. «Ein bisschen wie in den Berliner Rave-Kellern», sagt sie. «Jedoch auf dem Rad.» Aber auch HipHop, 80er Hits und sogar klassische Musik werden angeboten, je nach Coach. Dabei stehe Inklusivität an erster Stelle. «Alle sind willkommen, darum auch ‹Open Ride›.» Bucht man einen einzelnen «Ride», kostet es 39 Franken - das macht fast einen Franken pro Minute. Andere Zürcher Cycling Angebote schneiden hier jedoch ähnlich ab.
Fitnesstraining zu Livemusik
Das Studio bietet verschiedene Trainingsversionen: Bei «Collide» handelt es sich um Events, die nur von Zeit zu Zeit stattfinden. Hier spielen Bands und DJs aus aller Welt den Soundtrack zum Workout. «Commit» bietet ein leistungsorientiertes Training, bei dem sich die Teilnehmer*innen anhand einer laufenden Rangliste miteinander messen. Das Klientel bestünde dort aus viel mehr Männern als bei «Climax». Heute Nachmittag besuche ich Letzteres, wo es nicht um Konkurrenz, sondern um Spass geht. Unsere Gruppe besteht hauptsächlich aus Frauen zwischen 20 und 30 Jahren in trendiger Sportkleidung. Während auf der Europaallee die Businessleute am Fenster vorbeieilen, begebe ich mich in den dunklen Raum. Die Geräte stehen akkurat aufgereiht und eng beieinander. Mein Gefährt trägt die Nummer 28 und Eva stellt den Sattel auf meine Grösse ein.
Wie im Europapark
Ein dystopisches Gefühl macht sich in mir breit. Es bleibt jedoch keine Zeit, um in eine George-Orwell-Spirale zu fallen, denn die Türen schliessen sich und ein schneller Technobeat beginnt, den Raum zu füllen. Unser Coach, als einzige von einer kleinen Lichtquelle beleuchtet, sitzt uns gegenüber und beginnt nach einer kurzen Begrüssung sofort mit den Anweisungen. Pedale beginnen sich zu drehen und die Neonblitze erwachen zum Leben. Mir wird etwas schwindlig und ich fühle mich auf einmal wie im Europapark, als ich mit zwölf zum ersten Mal auf der Euro Mir Bahn fuhr. Ich blicke zur Tür, klammere mich wie damals an die Griffe vor mir und konzentriere mich auf meine Atmung. Je mehr Zeit vergeht, desto mehr werde ich tatsächlich in den Bann gezogen.
Die Leute um mich herum verschwinden, mein ganzer Fokus liegt nur noch auf meinen Bewegungen. Im Rhythmus der Musik strecken sich unsere Gliedmassen zu den Wänden des Lichterkäfigs, Oberkörper schnellen hoch und runter. Obwohl wir fast soldatisch im Gleichklang in die Pedale treten, bin ich ganz bei mir. Durch die Dunkelheit herrscht eine Anonymität, die es erlaubt, keinen Blicken ausweichen zu müssen oder sich mit anderen zu vergleichen. Die laute Musik verschluckt meine Gedanken. Als ich wieder aus dem Raum trete, werde ich in die Realität zurückgespuckt. Es kommt mir vor, als hätte ich gerade den Club verlassen, doch auf der Europaallee wimmelt es noch immer von Menschen, die nun ihrem Feierabend entgegeneilen. Auch der sich anbahnende Kater fehlt. Trotz dieser Absurdität fühle ich mich seltsam befreit. Habe ich gerade die moderne Konkurrentin des Zürcher Nachtlebens kennengelernt?