Was bedeutet das neue Sexualstrafrecht?

Seit Juli 2024 gilt das Nein-heisst-Nein-Prinzip. Der Verein Legal Help erklärt, was sich geändert hat und wie sich Betroffene wehren können – ein Gastbeitrag.

Marin Stojanovic (Illustration) und Legal Help (Gastbeitrag)
23. September 2024
Der Verein Legal Help, besteht aus einem Team von über hundert Jurist*innen, die mittellosen Personen rechtliche Unterstützung bieten und bei Bedarf kostenlose Anwält*innen vermitteln.

Sexuelle Belästigung ist leider auch noch im Uni-Alltag ein gängiges Problem. Für Betroffene eines Übergriffs ist die Bestrafung der Täter*in oftmals zentral für die Verarbeitung des Geschehenen. Doch wie steht es um die Rechtslage? 

Per 1. Juli 2024 trat das revidierte Sexualstrafrecht in Kraft. Früher war eine sexuelle Nötigung oder eine Vergewaltigung erst gegeben, wenn das Opfer durch physische oder verbale Gewalt oder Bedrohung zu sexuellen Handlungen gezwungen wurde. Durch die Revision sind nun die Tatbestände des sexuellen Übergriffs oder der Vergewaltigung dann erfüllt, wenn die sexuellen Handlungen allein gegen den Willen des Opfers geschehen. Dies entspricht dem sogenannten «Nein-heisst-Nein»-Prinzip. Ein Zwang durch Gewalt oder Bedrohung ist also nicht mehr notwendig. Das Sexualstrafrecht wurde damit verschärft. 

«Freezing» wird nun beachtet

Dieses realisiert den für viele intuitiv gefühlten Grundsatz, dass eine sexuelle Handlung ohne Einwilligung bestraft werden muss. Insbesondere im Falle eines Schockzustands. Dieser wird auch als «Freezing» bezeichnet: Das Opfer erstarrt vor Furcht und kann sich daher nicht zur Wehr setzen oder sich ablehnend äussern. Insofern muss das Opfer nicht gezwungen werden, sondern seine Ablehnung gezeigt haben, um eine Verurteilung der Täter*in zu ersuchen. Doch was gibt es dabei zu beachten?

«Generell ist eine anwaltliche Vertretung sehr zu empfehlen.»

Eine Strafanzeige kann jede*r schreiben. Dabei ist die Person der Täterschaft zu nennen, kurz zu beschreiben, was passiert ist, beziehungsweise darzulegen, weshalb ein Sexualdelikt vorliegt. Die Staatsanwaltschaft handelt ex officio. Das heisst, dass die Anzeige nicht detailliert begründet oder rechtlich hochgestochen formuliert sein muss. Ist die Täter*in unbekannt, kann die Anzeige auch «gegen unbekannt» lauten. In so einem Fall ist es hilfreich, wenn alle nützlichen Angaben beigefügt werden, die helfen können, die Täter*in zu finden. 

Sexualdelikte passieren oftmals unter vier Augen. Es gilt die Unschuldsvermutung und die Wahrheit der Aussagen sind vom Gericht oder der Staatsanwaltschaft zu beurteilen. Daran hat das neue Sexualstrafrecht nichts geändert. Ein rechtsstaatliches Verfahren ist stets garantiert. Bei der Opferaussage sind Widersprüche im Tathergang für eine Beurteilung des Gerichts entscheidend. Weitere Beweise, wie zum Beispiel Fotos oder ärztliche Atteste sowie Screenshots von Chatnachrichten, die den Aussagen des Opfers Nachdruck verleihen, können beigefügt werden. Am Schluss muss die Darlegung des sexuellen Übergriffs die Behörden überzeugen, denn nur so kann eine Verurteilung des Täters gelingen. 

Grosse Dunkelziffer bei Opfer

Es muss angemerkt werden, dass die Verurteilungsquote im Falle einer Vergewaltigung bisher sehr tief ausfiel. Nach Angaben der NGO Brava wurde in der Schweiz 2023 in vier von 100 angezeigten Fällen eine Verurteilung erreicht. Zudem ist die Dunkelziffer riesig: Im Schnitt erstattet nur jedes fünfte Opfer eine polizeiliche Anzeige. Aufgrund der Revision des Sexualstrafrechts könnte sich die Verurteilungsquote nun aber ändern. 

Generell ist eine anwaltliche Vertretung sehr zu empfehlen. Bei schlechten finanziellen Verhältnissen kann die unentgeltliche Rechtspflege beantragt werden. Dabei werden die Anwaltskosten zuerst vom Staat übernommen und nach Möglichkeit später zurückgezahlt. Wird eine Person falsch beschuldigt, stehen ihr auch weitere Mittel ausserhalb des laufenden Strafverfahrens zur Verfügung. So kann diese beispielsweise eine Zivilklage zum Persönlichkeitsschutz einreichen oder eine Strafanzeige wegen Ehrverletzung oder Falschbeschuldigung erheben. Wichtig ist zuletzt: Studierende haben oft wenig Geld, sollen aber nicht durch hohe Verfahrenskosten abgeschreckt werden. 

Gemäss unserer Bundesverfassung (Artikel 29 Absatz 3) besteht das Recht auf unentgeltliche Rechtspflege. Vorausgesetzt wird, dass  sich die Person das staatliche Verfahren nicht leisten kann, da es ihren Grundbedarf gefährden würde. Ebenso darf das Verfahren nicht aussichtslos sein und die Gewinn- und Verlustchancen müssen ausgewogen sein. Studierende können also, da sie häufig als mittellos gelten, bei der Staatsanwaltschaft die unentgeltliche Rechtspflege beantragen.