Instrument zur Schädelvermessung. Foto: C.D. Fawcett + A. Lee, 1902, Biometrika.

Ohne Forschung keine Aufarbeitung

Pascal Germanns Dissertation zur Zürcher Rassenforschung stiess auf Widerstand. Er fordert Rückhalt für Forschende – vor allem wenn sie die Vergangenheit kritisch beleuchten.

23. September 2024

Als Martin Luther King 1963 seine «I Have A Dream»-Rede hielt, büffelten Anthropologie-Studierende an der Uni Zürich fleissig für eine Vorlesung der Rassenhygiene. Diese befasste sich mit der Klassifizierung von Menschen in verschiedene Rassen. Abgeschafft wurde die Vorlesung erst 1979. Über die extensive Forschung zu Rassenkunde, die an der Uni Zürich in den Bereichen Medizin, Biologie und Anthropologie gemacht wurde, wissen die wenigsten Bescheid. Das ist erstaunlich, denn Zürich entwickelte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einem zentralen Standort der globalen Rassenforschung. 

Zürich als Epizentrum

Insbesondere eine Methode zur Vermessung des Körpers, die Forschende an der Uni entwickelten, fand auf der ganzen Welt Anklang und wurde auf Vermessungsexpeditionen in den europäischen Kolonien verwendet. Pascal Germann, derzeit Oberassistent an der Uni Bern, forschte für seine Dissertation am Anthropologischen Institut der Uni Zürich zu Schweizer Rassenforschung und Humangenetik im 20. Jahrhundert.

Er nennt mehrere Gründe für den Aufstieg Zürichs als wichtiger Standort für die Rassenforschung: «Die Rassenforschung war eng mit der Eugenik verknüpft und Zürich bildete schon früh ein wichtiges Zentrum der internationalen Eugenik. 1921 wurde hier zudem die sehr finanzstarke Julius Klaus-Stiftung gegründet, die als wichtige Sponsorin der Eugenik- und Rassenforschung fungierte.» Die Julius-Klaus-Stiftung «für Vererbungsforschung, Sozialanthropologie und Rassenhygiene» verwaltete das von Mitgründer Julius Klaus hinterlassene Vermögen und setzte sich laut ihren Statuten unter anderem für «Reformen zur Verbesserung der weissen Rasse» ein.

Institut stellt sich quer

Zu der Zeit, als die Julius-Klaus-Stiftung am aktivsten war, gab es für die Forschung wenig ausserordentliche Finanzierungsmöglichkeiten. Erst mit der Gründung des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) im Jahr 1952 verlor die Stiftung langsam ihre Bedeutung. Zu diesen Umständen kam ein politisches Motiv: Die Rassenforschung stand bereits zu Beginn des 20. Jahrhundert unter Verdacht, eine Pseudowissenschaft zu sein. Laut Germann war der Standort in der Schweiz wichtig, einem neutralen Land ohne eigene Kolonien. Das trug dazu bei, dass die Zürcher Rassenforschung den Ruf einer rein wissenschaftlichen und unpolitischen Forschung gewinnen konnte. Deshalb war die globale Forschung am Standort Zürich interessiert: Er galt als Garant für objektive Forschung. Einfach ist Forschung, die sich der Aufarbeitung der Schweizer Vergangenheit widmet, nicht immer. 

Studienrichtungen, die sich mit ähnlich kontroversen Themen befassen, etwa Nahoststudien oder Gender Studies, geraten immer wieder unter Beschuss. Diesen Druck, dem die Wissenschaft ausgesetzt ist, spürte ­Germann auf verschiedene Arten. Das Thema seiner Dissertation, die er 2015 veröffentlichte, sei grundsätzlich nicht kritisiert worden. Auch Fördergelder des Bundes erhielt er. Der Zugang zum Archiv am Anthropologischen Institut der Uni Zürich war zunächst schwierig: «Man hat gemerkt, dass das Institut skeptisch war. Ich musste einige Überzeugungsarbeit leisten, bis ihnen klar wurde, dass es bei meiner Forschung nicht darum geht, ihr Institut oder die Universität Zürich in ein schlechtes Licht zu stellen.» 

Nach Erscheinen seiner Forschung habe sich dies geändert und seither sei vonseiten des Instituts eine grössere Offenheit gegenüber der Aufarbeitung seiner eigenen Geschichte zu spüren. Grösserer Widerstand kam aus der Öffentlichkeit. 2018 reichte Henriette Haas, damals Professorin für forensische Psychologie an der Uni Zürich, bei der Universitätsleitung eine Anzeige gegen Germann ein. Der Vorwurf: «Unlauterkeit in der Wissenschaft».

Uni sollte die Forschenden stützen

Germanns Dissertation enthielt unter anderem Passagen zu Alfred Ernst, ein ehemaliger Rektor der Uni, Mitbegründer der Julius-Klaus-Stiftung und Grossvater von Henriette Haas. Sie sah die Dissertation ­Germanns als Versuch, den Namen ihres Grossvaters zu verunglimpfen. Die Uni Zürich ging den Vorwürfen nach und leitete ein Verfahren gegen den Forscher ein. Er sagt: «Für mich war das eine schwierige Zeit. Neben der Anzeige lief ausgehend von Haas eine regelrechte Diffamierungskampagne. Aus meiner Sicht ist diese Sache nun geklärt, die Vorwürfe haben sich als haltlos erwiesen und der Öffentlichkeit wurde das auch so kommuniziert.» 

Während sein eigener Fall nun beendet ist, bleibt das übergreifende Problem bestehen. Die Reaktion von Haas sieht ­Germann als Ausdruck einer in der Gesellschaft präsenten Haltung, Forschung, die einem aus persönlichen oder politischen Gründen nicht passt, anzugreifen und zu diskreditieren, wenn nötig mit rechtlichen Mitteln. Und da werde es gefährlich: «In der Wissenschaft muss es eine lebendige Debattenkultur geben. Da gehört Kritik natürlich dazu. Anfeindungen, Anzeigen oder Drohungen, den Geldhahn abzudrehen, sind aber bedenklich. Wenn Forschende eingeschüchtert und davon abgehalten werden, unbequeme Fragen zu stellen, wird die Wissenschaftsfreiheit in Frage gestellt. Ganze Bereiche der Wissenschaft können so diskreditiert werden.» 

Von den Unis wünscht sich Germann vor allem eine klare Haltung und mehr Unterstützung. Junge Forschende müssten darauf vertrauen können, dass sie von ihren Arbeitgeber*innen gestützt werden: «Die Wissenschaftsinstitutionen, etwa die Universitäten oder der SNF, müssen an einem Strang ziehen und die Forschungsfreiheit resolut verteidigen.