Ab dem Herbstsemester 2025 werden Bildungsausländer*innen an der ETH klar benachteiligt.

Bildungsgerechtigkeit im Sinkflug

News — Ausländische Studierende müssen an der ETH künftig dreimal höhere Studiengebühren bezahlen. Die Entscheidung des Parlaments bedeutet vor allem eines: Das ETH-Studium wird noch weniger zugänglich.

Sumanie Gächter (Text) und Mara Schneider (Illustration)
23. September 2024

Während viele Studierende die Semester­ferien entspannt an der Limmat verbrachten, auf Interrailreise gingen oder in ihre Heimat zurückkehrten, fiel an einem heissen Julitag ein folgenreicher Entscheid: Der ETH-Rat beschloss vorläufig, die Studiengebühren für ausländische Studierende an der ETH Zürich und EPFL Lausanne drastisch zu erhöhen. Ab dem Herbstsemester 2025 sollen diese 2190 Franken pro Semester betragen – fast das Dreifache der bisherigen Summe. Damit folgt der ETH-Rat dem Wunsch des Parlaments, die Gebühren für Bildungsausländer*innen zu erhöhen.

Obwohl der ETH-Rat erst die Rückmeldungen der Studierenden anhörte und sich diesen März noch gegen eine Erhöhung der Studiengebühren aussprach, musste er sich letztendlich dem Druck der nationalen Politik beugen. Der Nationalrat hatte sich im Frühling dafür ausgesprochen, die Gebühren für Bildungsausländer*innen zu erhöhen. Der Bund kann zwar keine konkreten Studiengebühren festlegen, aber der National- und Ständerat können im ETH-Gesetz festschreiben, dass die Gebühren für ausländische Studierende mindestens dreimal so hoch wie jene für Schweizer*innen und Bildungsinländer*innen sein müssen. Als Bildungsinländer*innen gelten Personen, die über die Eidgenössische Schweizer Maturität verfügen, auch wenn sie keine Schweizer Staatsbürgerschaft haben.

Ein knappes Ja vom Ständerat

Am 12. September ist der Entscheid endgültig gefallen: Der Ständerat folgte dem Nationalrat und beschloss, dass die Studiengebühren für Bildungsausländer*innen mindestens verdreifacht werden sollen. Mit 22 Ja- zu 21 Nein-Stimmen bei zwei Enthaltungen fiel das Votum knapp aus. Nach dem Entscheid in Bern bleibt der ETH Zürich und der EPFL Lausanne nichts anderes übrig, als die Studiengebühren nun endgültig zu erhöhen.

Der Entscheid steht im Kontext der geplanten Sparmassnahmen des Bundes. Bereits für 2024 hat der Bundesrat Kürzungen der BFI-Mittel (Bildungs-, Forschungs- und Innovationspolitik) für den ETH-Bereich um 2 Prozent beschlossen. Der ETH-Rat zeigte zwar Verständnis für die Sparmassnahmen angesichts des strukturellen Defizits des Bundes, äusserte aber Besorgnis darüber, dass der ETH-Bereich mit künftig rund 100 Millionen Franken weniger pro Jahr besonders hart getroffen werde. 

Dabei wäre eigentlich eine Erhöhung der Mittel dringend nötig, um Professuren zu besetzen und die Lehr- und Forschungsqualität zu sichern. Bei wachsenden Studierendenzahlen könnte die Kürzung zu einem schlechteren Betreuungsverhältnis führen, die Position in internationalen Rankings gefährden und die Forschungsleistung schwächen. Dazu kommt eine weitere einmalige Kürzung von 100 Millionen Franken, die für das Jahr 2025 geplant ist. Um diese finanzielle Lücke zu füllen, sollen die Studierenden nun zur Kasse gebeten werden. 

Die höheren Gebühren für Bildungsausländer*innen wurden im Parlament damit legitimiert, dass diese sowie deren Eltern in der Schweiz keine Steuern zahlen. Da Studierende zu den finanzschwächsten Gliedern der Gesellschaft zählen, trägt dieser Entscheid jedoch weitreichende Konsequenzen mit sich. Die Schweiz ist ein teures Pflaster, vor allem für ausländische Studierende. Zürich gehört weltweit zu den teuersten Städten überhaupt und die Lebenshaltungskosten steigen jährlich an. Dazu kommt, dass zumindest das Bachelorstudium an der ETH und EPFL einzig als Vollzeitstudium absolviert werden kann und viele Studierende aufgrund der späten Prüfungsdaten keine Zeit für Erwerbsarbeit haben. Daher sind sie oft auf Ersparnisse, elterliche Unterstützung oder Stipendien angewiesen.

Der VSETH wehrt sich

Die geplante Gebührenerhöhung stiess bereits vergangenes Semester auf studentischen Widerstand. Der VSETH startete eine Informationskampagne und die Petition «Not a Pawn in Politics», auf Deutsch «Kein Spielball der Politik», um gegen die Erhöhung der Gebühren zu protestieren. Darin argumentiert er, dass nicht die Studierenden Leidtragende der Budgetkürzungen sein sollten. Es besteht die Sorge, dass talentierte, sozial benachteiligte Studierende ihr Studium an der ETH aufgrund zu hoher Kosten nicht mehr antreten können. 

Im Rahmen der VSETH-Umfrage ­«wiegETHs», die erstmals im Frühling 2019 startete, wurden dieses Jahr auch Fragen zur Erhöhung von Studiengebühren hinzugefügt. Die Ergebnisse zeigen, dass eine potenzielle Erhöhung der Gebühren erhebliche Auswirkungen auf die finanzielle Situation der Studierenden haben würde. So gaben 51 Prozent der befragten Bildungsausländer*innen an, dass sie nach der Erhöhung ein Stipendium benötigen würden. Von denjenigen, die bereits eines erhielten, würden 15 Prozent ein zusätzliches benötigen. 

Die ETH vergibt derzeit zwei Arten von Stipendien: Exzellenzstipendien für Studierende mit ausserordentlich guten Leistungen und Sozialstipendien. Zurzeit sind letztere mit etwa 6 Prozent auf Bachelor- und Masterstufe über die ETH hinweg gleichverteilt. Sie richten sich vor allem an die bedürftigsten Studierenden. Doch für zusätzliche Stipendien verfügt die ETH nicht über genügende Mittel. Dazu kommt, dass internationale Studierende erst nach bestandener Basisprüfung im Bachelor oder 40 absolvierten ECTS im Master ohne ETH-Bachelor für Stipendien zugelassen sind. Bis sie diese Voraussetzungen erfüllt haben, müssen sie ohne finanzielle Unterstützung der ETH auskommen.

Viel zahlen für wenig Entlastung

Gian-Andri Casutt, Mediensprecher des ETH-Rats, ist überzeugt, dass die ETH trotz der höheren Gebühren weiterhin internationale Talente anziehen wird. «Vergleichbare prestigeträchtige ausländische Universitäten wie jene im angelsächsischen Raum sind immer noch um ein Vielfaches teurer als die ETH», sagt er. Diese dürften jedoch für die Schweiz kein Vorbild sein. Moderate Studiengebühren wie in der Schweiz gehörten zum Erfolg des Schweizer Bildungssystems, so Casutt. Andererseits sei die Praxis, höhere Studiengebühren von ausländischen Studierenden zu verlangen, an anderen Universitäten bereits gang und gäbe. 

Auch die technische Universität München, die oft als deutsches Pendant zur ETH gehandelt wird, würde für internationale Studierende bis zu 3’000 Euro für den Bachelor und bis zu 6’000 Euro für den Master verlangen, erklärt Casutt. Hierzulande zahlen Bildungsausländer*innen etwa auch an der Universität St. Gallen höhere Studiengebühren als Bildungsinländer*innen. Der VSETH rechnet damit, dass die Mehreinnahmen durch die Erhöhung der Studiengebühren lediglich rund 15 Millionen Franken betragen würden. Das entspricht weniger als einem Prozent des ETH-Gesamtbudgets. Angesichts der anstehenden Kürzungen von 100 Millionen Franken handle es sich also kaum um eine nennenswerte Entlastung und würde sich zugleich negativ auf die Studierenden auswirken. 

Julia Bogdan, Co-Präsidentin des VSETH, denkt nicht, dass weniger ausländische Studierende an die ETH kommen würden. Die Frage sei eher, ob bloss noch jene mit finanziell starkem Hintergrund ein Studium antreten. Das, obwohl die ETH viel Wert auf ihre Vielfalt legt. «Trotz der Möglichkeit auf Stipendien haben wir Angst, dass sich talentierte Studierende bereits im Vorfeld gegen die ETH entscheiden», sagt Bogdan. Dass ausländische Studierende einen Mehrwert für die Schweiz darstellten, dürfe man laut Bogdan nicht vergessen: «Sie tragen zur Bekämpfung des Fachkräftemangels bei und bleiben oft nach ihrem Abschluss in der Schweiz, um hier zu arbeiten.»