Barrikaden statt freier Dialog
News — Das Kollektiv «Students for Palestine» machte im Mai an der Uni Zürich mit diversen Aktionen auf den Krieg in Gaza aufmerksam. Mit polizeilicher Repression rechnete niemand.
Als ein Student der Universität Zürich sich am Freitag, der 17. Mai, dem Hauptgebäude nähert, fällt ihm die Polizei vor den Eingängen auf. Beim Eingang angekommen, verlangen die Polizist*innen seine Legi und durchsuchen seine Tasche. Fragen möchten sie nicht beantworten. Stattdessen fallen Aussagen wie diese: «Nur Studierende, die wirklich studieren wollen, dürfen ins Gebäude». Als sie bei der Durchsuchung der Tasche eine Kufiya – ein arabisches Kopftuch, das oft als Symbol des palästinensischen Widerstands benutzt wird – entdecken, ändert sich ihre Stimmung. Der Student erhält einen mündlichen Verweis für den ganzen Kreis 1.
«We want dialogue»
Grund für das Polizeiaufgebot auf dem Campus war eine geplante Demonstration des Kollektivs «Students for Palestine». Dieses hatte bereits zu Beginn der Woche den Lichthof besetzt und der Uni mit Transparenten und Flyern ihre Forderungen mitgeteilt: Die Uni solle sich differenzierter zum Krieg in Gaza äussern und akademische israelische Institutionen, die im Krieg in Gaza involviert sind, beispielsweise durch die Ausbildung von militärischem Personal, boykottieren. Zudem forderten sie, dass allfällige Verbindungen zur Universität Zürich geprüft und offengelegt werden sollten. Die Besetzung wurde nach einigen Stunden durch das Eintreffen der Polizei beendet. Nach Angaben des Rektorats verliessen die Studierenden friedlich die Uni.
Das Kollektiv forderte jedoch weiterhin eine Stellungnahme zu den Forderungen und setzte dem Rektorat eine Frist bis Freitag. Zeitgleich wurde zu einer Kundgebung vor dem Hauptgebäude am selben Freitag aufgerufen. Da die Frist verstrich, ohne dass das Rektorat sich äusserte, versammelte sich das Kollektiv für die Kundgebung: «Wir hatten vor, uns vor dem Hauptgebäude zu besammeln und friedlich unsere Meinung kundzutun. Wir hatten nicht erwartet, so viel Polizei anzutreffen», erzählt eine Studentin, die eine Rede vorbereitet hatte. Ihr sei es wichtig, auf die Menschenrechtsverletzungen in Gaza aufmerksam zu machen.
An jenem Freitagmorgen standen rund ein Dutzend Polizeiwagen, verteilt um das Hauptgebäude, bereit. Polizist*innen kontrollierten jegliche Eingänge und bestimmten, wer hinein durfte. Dabei wurden bei allen die Legis kontrolliert, Taschen durchsucht und Namen aufgeschrieben. Fragen beantworteten sie meist nicht. Mehrere Studierende der Uni Zürich wurden gar nicht reingelassen. Einer Studentin wurde erklärt, mit dem Tragen einer Kufiya mache sie sich tatverdächtig und dürfe das Gebäude nicht betreten. «Ich hätte ihnen meine Kufiya geben müssen, um ins Gebäude zu kommen. Ich hätte sie erst später bei der Polizeiwache holen können», erzählte sie.
Auf schriftliche Verweise verzichtete die Polizei. Markus Schefer, Staats- und Verwaltungsrechtsprofessor an der Uni Basel, sagte gegenüber der Zeitung «Beobachter», dass solche Verweise rechtlich kaum haltbar seien: «Das geht sicher nicht. Von den Kleidern geht keine Gefahr aus, sondern sie sind eine Meinungsäusserung.» Gegen vier Uhr nachmittags wurde den Studierenden der Eintritt zur Uni ganz verweigert, die Mensa schloss kurzfristig und der Vorplatz wurde abgesperrt. Trotzdem sammelten sich rund 50 Menschen vor dem abgesperrten Areal. Umgeben von Polizist*innen mit Gummigeschosswaffen, einem Wasserwerfer und Polizeiabsperrband wurden Parolen wie «Money for Education, Not for War and Occupation», «Free Palestine» und «We want dialogue» gerufen. Schnell sammelten sich Schaulustige auf der anderen Strassenseite.
Manche schlossen sich der demonstrierenden Gruppe an, die begann, sich in Richtung Niederdorf zu bewegen. Wie es von der geplanten Kundgebung zum plötzlichen Demonstrationsumzug kam, erklärt eine Demonstrantin: «Wir hatten Angst, von der Polizei eingekesselt zu werden. Deshalb haben wir beschlossen, keine Rede zu halten und stattdessen als Demozug loszulaufen.» Kurzerhand wurden zwei Studierende ausserhalb des Unigeländes von Polizist*innen zu Boden geworfen, mit dem Knie im Rücken fixiert und in Handschellen abgeführt. Umstehende, die filmten, wurden von der Polizei weggedrängt. Der Grund für die Verhaftung wurde erst später genannt und änderte sich im Verlauf der Festnahme mindestens einmal. Im Polizeibericht steht, dass die verhafteten Personen versuchten, die Polizeiabsperrung zu übertreten. «Eine absurde Vorstellung, wenn man bedenkt, dass das Einzige hinter der Absperrung eine grosse Gruppe Polizist*innen war», sagt eine verhaftete Person.
Pfefferspray statt Megafon
Zum Einsatz von Pfefferspray kam es, als einige Demonstrant*innen ein Polizeiauto, das versuchte, die Menge zu überholen, blockierten. Danach verlief die Demonstration jedoch friedlich und endete am Bürkliplatz. Einige Studierende wollten daraufhin die zwei Verhafteten bei der Polizeiwache abholen, die während der Demonstration in einer Zelle gehalten wurden. Dazu kam es allerdings nicht, sagt eine Mitstudentin: «Wir machten uns mit dem Tram auf den Weg. Als wir losfuhren, sahen wir, dass uns mehrere Polizeiautos verfolgten. Kurz darauf hielt das Tram an und es wurde uns verboten, bis zum Toni-Areal, dem Standort der Wache, zu fahren.»
Unverhältnismässige Polizeigewalt
Verschiedene studentische Vereine, etwa die kritischen Jurist*innen oder der VSUZH, verurteilten die Polizeigewalt und forderten eine Stellungnahme des Rektorats. Auch Universitätsmitarbeitende äusserten sich in einem offenen Brief an die Universitätsleitung bestürzt. Am selben Abend veröffentlichte die Uni Zürich auf ihrer Website ein Statement: Störungen des universitären Betriebs würden nicht geduldet. Damit bezog sich die Uni in erster Linie auf die Besammlung von Studierenden. Die Zugangskontrollen, Mensaschliessung oder Absperrung des Unigeländes waren nicht mitgemeint.
Ebenso sei die Universitätsleitung zu keiner Zeit in den Polizeieinsatz miteinbezogen worden. «Die Universität hat zu keinem Zeitpunkt einen Strafantrag gestellt und einen Polizeieinsatz veranlasst», so Rektor Michael Schaepman in einem Interview mit UZH-News. Der Stadtrat bejahte dies in einer Antwort auf eine vom Gemeinderat schriftlich eingereichte Anfrage. Die Stadtpolizei habe an jenem Tag Kontakt mit der für die Uni zuständigen Kantonspolizei Zürich gehabt. Daraufhin habe die Stadtpolizei entschieden, ausserhalb der Universität auf öffentlichem Grund Personenkontrollen durchzuführen. Eine direkte Absprache mit der Uni sei für polizeiliches Handeln ausserhalb der Universität nicht nötig.
Schefer äusserte sich dazu gegenüber dem «Beobachter» wie folgt: «Wenn das tatsächlich zutrifft und die Polizei ohne einen Auftrag der Universität gehandelt hat, ist das rechtlich nicht haltbar». Der Aufruf für die Kundgebung sei nicht genug, um einen solchen Einsatz zu rechtfertigen: «Wenn es nur um die Frage geht, ob eine Besetzung der Räumlichkeiten möglicherweise den universitären Betrieb stört, liegt das in der Zuständigkeit der Universitätsleitung, nicht der Polizei.» Die Uni sagt weiterhin, dass sich Studierende an der Uni Zürich sicher fühlen müssen, ohne Angst, ihre Meinung frei zu äussern. Ein offener Dialog sei wichtig. Die Forderungen der Demonstrierenden lehnt das Rektorat jedoch ab und pocht darauf, dass auch keine palästinensischen Institutionen boykottiert werden. Nicht erwähnt wird, dass diese in Gaza mittlerweile alle angegriffen oder ganz zerstört wurden.