Mit provokanten Fragen fordert die ASAZ dazu auf, die eigene Perspektive zu hinterfragen.

Zugehörigkeiten verhandeln

Eine neue Ausstellung im Völkerkundemuseum widmet sich den Benin-Bronzen. Sie wirft Fragen zur Rückgabe, Verantwortung und dem Umgang mit kolonialem Erbe auf.

Cédric Angehrn (Text) und Linn Stählin (Foto)
18. September 2024

Im Jahre 1897 führten britische Kolonialtruppen im Königtum Benin, das im Südwesten Nigerias lag, eine sogenannte Strafexpedition durch. Dabei eroberten und verwüsteten die bewaffneten Truppen die Hauptstadt des Königreichs, plünderten den Palast und brannten diesen nieder. So gelangten tausende von Kulturgütern über Auktionshäuser und den Kunsthandel in öffentliche sowie private Sammlungen in Europa. Diese Kulturgüter werden heutzutage unter dem Sammelbegriff der «Benin-Bronzen» zusammengefasst. 

Zwar wurden nicht alle Benin-Bronzen aus Bronze angefertigt, jedoch dienten sie alle der Ehrung des Oba, des politischen und religiösen Oberhaupts des Königreichs, sowie der Königsmutter. Als prominente Beispiele der Benin-Bronzen gelten Reliefplatten, die wichtige historische Ereignisse dokumentieren, sowie Gedenkköpfe, die meist verstorbene Oba darstellen. Derartige Reliefs und Gedenkköpfe werden momentan im Völkerkundemuseum der Universität Zürich ausgestellt. 

Ein Aufruf zur Introspektion 

Beim Betreten der Ausstellung werden die Museumsbesucher*innen mit einer Frage konfrontiert, die an der Wand rechts angebracht ist: «What are you doing here?» Dadurch steht nicht der Konsum der Ausstellung im Vordergrund, sondern der Fokus nach innen. Genau dies tue ich und frage mich weiter: «Was habe ich wirklich hier als weisse europäische Person zu suchen, die weder mit den ausgestellten Objekten noch mit ihrer Geschichte direkt in Kontakt steht?» Und: «Warum kann ich mir diese Objekte so leicht ansehen und andere, deren Identitäten, Geschichte und Kultur so eng mit ihnen verbunden sind, nicht?» 

Für diesen ausschlaggebenden ersten Eindruck ist die «African Students Association of Zurich» (ASAZ) verantwortlich. In Zusammenarbeit mit den Kurator*innen Alexis Malefakis und Alice Herzog gestalteten Mitglieder der «ASAZ» die gesamte rechte Wand der Ausstellung. An dieser verknüpfen sie ihre Identifikation als junge Afroschweizer*innen mit der Thematik der Zugehörigkeit von Benin-Bronzen und stellen vier provokante Fragen: «What are you doing here? Whose voices are you prepared to listen to? What does (our) belonging mean to you? What are you really prepared to do for change?». Eine noch aktivere Beteiligung bietet die «ASAZ» zudem in Form eines Gästebuchs, in dem die Fragen schriftlich beantwortet werden können. 

Die Ausstellung ist in vier Teile unterteilt. Der erste schildert, wie die Bronzen nach Zürich kamen und was mit ihnen hier geschah. Um die Provenienz, also die Herkunft und Anschaffungsumstände, der Bronzen klar sichtbar zu machen, arbeiteten die Kurator*innen eng mit der «Benin Initiative Schweiz» (BIS) sowie verschiedenen Expert*innengruppen aus Benin City zusammen. Bei den 18 Benin-Bronzen des Völkerkundemuseums wurde festgestellt, dass es sich bei wahrscheinlich 14 der 18 Objekte um Raubgut handelt. Die Reiserouten der geraubten Bronzen hat die BIS umfassend recherchiert und nachgezeichnet. Dabei wird aufgezeigt, wie die Geschichte Benins die Auseinandersetzung mit den Bronzen beeinflusste. Der Raub erschwerte für die betroffene Nigerianer*innen die Aufarbeitung dieses Aspekts ihrer kolonialen Vergangenheit. 

Ein fehlendes Stück Vergangenheit 

Unter anderem wird dabei betont, dass die Bronzen keine Kunstobjete sind. Im Rahmen von Videointerviews beschreiben verschiedene Vertreter*innen des «Edo United Club of Switzerland» die Bronzen als physische Existenzbeweise Benins und Objekte der Verehrung und Versöhnung. Im Anblick der Objekte sprechen sie von schmerzhaften Erinnerungen an die Zerstörung und Konsequenzen der Strafexpedition sowie vom grossen Wunsch nach einer Restitution. 

Weshalb Restitution eine dermassen grosse Bedeutung hat, kann den Ausstellungstexten entnommen werden: «Die Rückgabe der Objekte ist für die Menschen in Nigeria wichtig, damit sie sich mit ihrer eigenen Geschichte auf ihre eigene Art und Weise auseinandersetzen können.» Bereits seit dem frühen zwanzigsten Jahrhundert fordern mehrere entkolonialisierte afrikanische Länder wie Nigeria ihr gestohlenes Kulturerbe zurück. Trotzdem befindet sich bis heute etwa neunzig Prozent des Raubguts ausserhalb Afrikas. Rückgaben an die Ursprungsländer werden oft verweigert, sei es durch rechtliche Massnahmen oder die rassistische Unterstellung, dass die ehemaligen Kolonialmächte besser auf die Kulturgüter aufpassen können. 

Im vierten Teil der Ausstellung äussert das Völkerkundemuseum seine Einstellung zu Restitutionsprozessen: «Wir übernehmen die Verantwortung für die damit verbundenen Verpflichtungen und unterstützen, dass die Benin-Bronzen zurückgegeben werden». Dazu heben sie die Pflege neuer Beziehungen zwischen dem Völkerkundemuseum und den Menschen, die mit den Sammlungen verbunden sind, hervor. Beeindruckend ist die Zusammenarbeit mit «Isla Victoria», einer Anlaufstelle für Sexarbeiter*innen in Zürich und Winterthur. Im November 2023 ermöglichte das Völkerkundemuseum Klient*innen der «Isla Victoria», die aus dem Edo-State in Nigeria stammen, eine Besichtigung der Bronzen. Im Ausstellungstext dazu betont Anna Maros von «Isla Victoria», dass eine solche Begegnung für ihre Klient*innen einen «positiven Effekt auf ihr Selbstbild haben kann.» 

Eine Rückforderung der geraubten Bronzen des Völkerkundemuseums liegt der Universität bereits vor. Persönlich befürwortet der Kurator Malefakis eine bedingungslose Restitution der Bronzen. Ebenso könnte eine Eigentumsübertragung in Betracht gezogen werden: Die Eigentumsrechte würden an Nigeria abgetreten, während die Objekte selbst in der Schweiz verbleiben würden. Für welche Lösung die Universität sich letztendlich entscheidet, wird sich am internationalen Restitutionsforum der «BIS» am 26. Oktober herausstellen.