Ein Privatkonzert aus den Achtzigern

Der vierzig Jahre alte Konzertfilm «Stop Making Sense» der Band Talking Heads wurde restauriert und ist seit Ende 2023 im Kino. Warum dieser kultige Film nicht nur langjährige Fans, sondern auch die breite Masse begeistert.

Tim Frey (Text)
23. Mai 2024

David Byrne betritt nur in Begleitung eines Kassettenrecorders und einer Akustikgitarre die Bühne und beginnt den Song «Psychokiller». Das Bühnenbild steht leer und der schlaksige, grossgewachsene Frontmann der Band bewegt sich, wie er in einem späteren Interview beschreiben wird, als ob ihm niemand zuschauen würde. Mit weit aufgerissenen Augen und taubenartigen Kopfbewegungen zum Rhythmus des New Wave Beats sagt er in einem ersten Sprechgesang: «You're talking a lot, but you're not saying anything.When I have nothing to say, my lips are sealed.»

Diese Aussage scheint das Fundament zu sein, auf dem die kreativen Köpfe um den Musiker David Byrne und den Regisseur Jonathan Demme diesen Film aufbauten. Dialoge sucht man vergebens, der Film adressiert die Betrachter*innen nur über die Musik und das Visuelle. Jonathan Demme, der später ironischerweise mit «Das Schweigen der Lämmer» seinen grössten Erfolg feiern wird, hat mit seinem Spiel mit der Kamera eine Pionierleistung vollbracht. Man nimmt teil an diesem Konzert, als sässe man selbst im Publikum – zur Zeit des Zenits der Talking Heads. Und noch mehr: Durch die Kamera erhält man intime Perspektiven auf die Band.

Ein Privatkonzert im Kino

Die Aufnahmen sind auf subtile Weise aus vier Konzerten zusammengeschnitten, dabei wird das Publikum bis auf eine Szene am Schluss nicht gezeigt. Jonathan Demme erläuterte in einem Interview, dass dafür eine andere Beleuchtung nötig gewesen wäre, was die Stimmung am Liveauftritt massiv gestört hätte. Ausserdem werde so die Wirkung auf die Kinobesucher*innen verstärkt. Es gehe um das Gefühl, ein Privatkonzert zu besuchen.

Das zeigte sich auch bei der Vorstellung im Kino. Ein Dutzend ältere Nasen waren anwesend, die sich bei dem einen oder anderen Hit nicht davor scheuten, aufzustehen und in die Hände zu klatschen, um der Passivität der lauschigen Kinosessel zu entkommen, die doch so gar nicht zum Genre der Musik passt.

Schon während «Psychokiller» zu Ende geht, wird im Hintergrund langsam die Bühne weiter aufgebaut und Tina Weymouth am Bass und ihr Ehemann Chris Frantz am Schlagzeug kommen nacheinander ins Bild. Die drei Gründungsmitglieder der Band lernten sich an der Rhode Island School of Design kennen und formierten 1975 in New York die Talking Heads. Das vierte Mitglied Jerry Harrison kam wenig später dazu und komplettierte als Gitarrist und Keyboarder das fixe Ensemble. In diesem Sinne tritt er auch dramaturgisch erst etwas später im Film in Erscheinung.

Wie in einer Schaudergeschichte

Wie bei einem Crescendo kommen in den folgenden Liedern immer weitere Musiker*innen auf die Bühne, wobei der Klang immer facettenreicher und das Arrangement auf der Bühne immer grösser wird. In ihrem Klassiker «Burning Down the House» findet der Film einen ersten Höhepunkt. So soll der Konzertfilm für die Community stehen, die sich in den Jahren seit Bestehen der Band formierte und ihren Teil zu dieser Band und diesem energetischen Film beitrug, beschrieb es Tina Weymouth in einem späteren Interview bei CNN. Dieser Aufbau des Films bildet das einzige narrative Element, das etwas über die Geschichte der Talking Heads vermittelt. 

Der Film überzeugt des Weiteren durch sein Spiel mit Farbe und Licht, wie beim Lied «Swamp», wo vor einem roten Hintergrund die Konturen der Bandmitglieder ihre Instrumente spielen und Byrne von einem einzigen frontalen Scheinwerfer beleuchtet unaufhörlich auf der Stelle marschiert. Bei «What a Day that was» werden die Talking Heads wie in einer Schaudergeschichte von unten beleuchtet, wodurch auf der weissen Leinwand hinten die Silhouetten der Schattenrisse wie heraufbeschwörte Geister zur Musik mittanzen.

Die Verantwortlichen der angesagten US-amerikanischen Produktionsgesellschaft A24, welche den Kultfilm vierzig Jahre nach der Erstveröffentlichung in Zusammenarbeit mit den Talking Heads restauriert in die Kinos brachten, mussten gewusst haben, was für ein Wert noch immer in diesem Meisterwerk steckt.

Ein Plädoyer für das Irrationale

Nach dem Film fühlt man sich erschlagen. Auch ohne selbst unter den verschwitzten Körpern tanzend in der Menge gestanden zu haben, ist man allein vom Zuschauen, wie die Band und vor allem der Leadsänger Marathon-ähnliche Leistungen vollbrachten, erschöpft. Es ist, als ob man selbst an diesen Konzerten in den 70ern teilgenommen hätte, und es ist schön, dieses Erlebnis mit den Kinobesuchenden zu teilen. So liegt die Qualität des Konzertfilms darin, gemeinsame Erinnerungen in Bezug zu dieser Zeit, der Band und ihrer Musik zu schaffen, die generationenübergreifend sind.

Die Lebensfreude, die von den Talking Heads ausgestrahlt wird, ist auf jeden Fall ansteckend und ist, wie auch der Titel des Films, ein Plädoyer dafür, nicht immer nur rational zu agieren. Nicht nur der legendäre übergrosse Anzug von David Byrne oder die Wohnzimmerlampe auf der Bühne wirken surreal, auch der instinktive Tanzstil scheint fernab von jeder Logik und wirkt auch aus heutiger Sicht erfrischend.