Umrankt
«Das gleichsam krampfhafte und leidenschaftliche Sich-fest-Wurzeln in der Erde und das doch Halb-losgerissen-Sein durch die Stürme. Ich wollte in diesen schwarzen, knorrigen Wurzeln mit ihren Knorzen etwas vom Kampf des Lebens ausdrücken. Oder richtiger: weil ich bestrebt war, der Natur, die ich vor mir hatte, treu zu sein, ohne dabei zu philosophieren, ist fast unwillkürlich in beiden Fällen etwas von diesem Kampf hineingekommen» So schildert vor über 140 Jahren, in einem Brief an seinen Bruder Theo, Vincent van Gogh die Inspiration hinter seinem Gemälde «Racines d’Arbres.»
Das Gemälde, bestehend aus Grün-, Blau-, Braun- und Grautönen, stellt ein System verwobener Wurzeln und Gestrüppe dar, die sich aus freigelegter Erde abheben – als würde man einen Querschnitt des Waldbodens betrachten. Angezogen vom Widerspruch zwischen Halt und Entfesselung, vom Kampf dieser gegensätzlichen Triebkräfte des Lebens, wollte van Gogh die Natur selbst von diesem Kampf sprechen lassen, indem er sie ohne Vorbedacht abbildete. In Momenten, in denen ich selbst Wurzeln begegne in unserer wohlsortierten Stadt, die so oft steril in ihrer Makellosigkeit erscheint, fallen mir immer ihre im Gegensatz spontanen Muster auf. Wie schön, dass die Wurzeln ihren eigenen Impulsen nachgehen und sich nicht der Stadt entsprechend in gitterartigen Formationen ausbreiten.
Somit möchte ich mich van Goghs Absicht anschliessen, nicht zu stark über die Anziehung der Wurzeln zu philosophieren und stattdessen zu versuchen, den fesselnden Gefühlen, die sie hervorrufen, nachzugehen und sie mittels Bildern festzuhalten.