Pro-Palästina-Besetzungswelle erreicht ETH

Mit einem Sitzstreik wollten Studierende die Hochschule zu Gesprächen über den Nahost-Konflikt und Unterstützung für Palästina auffordern. Die ETH rief die Polizei.

9. Mai 2024

Am Dienstagvormittag haben etwa hundert Studierende die Eingangshalle des Hauptgebäudes der ETH Zürich besetzt. Mit Schildern und einem grossen Transparent mit der Aufschrift «No Tech for Genocide» setzten sich die Aktivist*innen vor den Eingang Richtung Polyterrasse. Ihre Forderungen kommunizierten sie in den sozialen Medien, wo sie sich auf einem neu gegründeten Account «Students for Palestine» nennen. Die Forderungen ähneln denen an Uni-Besetzungen in England und den USA: Die ETH solle sich zum Krieg in Gaza positionieren, ihre Zusammenarbeit mit israelischen akademischen Institutionen und Unternehmen, die «die israelische Regierung im fortwährenden Genozid unterstützen», künden und fortan jegliche Projekte mit israelischen Akteur*innen offenlegen.

Jelena*, eine Studentin, die mitdemonstrierte, sagt: «Wir fordern einen direkten, offenen Diskurs mit dem Rektorat der ETH.» Dieser erste Versuch, eine Reaktion der Hochschule zu erzwingen, hielt nicht lange an: Kurz nach Beginn des Sitzprotests sperrte die Polizei den Eingang zur ETH ab und begann, die Demonstrierenden hinauszutragen. Einzelne wurden fotografiert und verzeigt, so auch Blake Alcott. Der Ökonom und Aktivist setzt sich seit Jahren bei «Café Palestine», ein monatliches Treffen «für Menschen, die der Palästinakonflikt nicht ungerührt lässt», und «One Democratic State» ein. Letztere Organisation plädiert für eine Einstaatenlösung mit demokratischen Rechten für alle. «Mir ist wichtig, dass es in dieser Sache nicht um religiöse und ethnische Zugehörigkeit geht. Palästina wird von Kolonialist*innen besetzt. Das hat nichts mit dem Judentum zu tun», sagt Alcott. Mit Journalist*innen spräche er nur, wenn sie ihm versichern, anti-zionistisch zu sein.


Umstrittene Parole

Gemäss «Watson» war am Sitzstreik auch die Parole «From the river to the sea, Palestine will be free» zu hören. Der Spruch ist höchst umstritten: Organisationen wie die Zürcher Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus stufen die Parole als antisemitisch ein. Sie sei ein Aufruf zur Vertreibung und Vernichtung aller Juden. Diese Bedeutung lässt sich unter anderem auf die Verwendung der Parole durch die Hamas zurückführen, die ein muslimisches Palästina auf dem heutigen Gebiet Israels fordert.

Ein Gegendemonstrant, der sich mit einer Israelflagge den Aktivist*innen gegenüber hinsetzte, forderte auf einem Kartonschild dementsprechend: «Antisemitische Parolen wie ‹From the river to the sea› nicht tolerieren!

Doch für viele Palästinenser*innen hat die Parole eine andere, friedlichere Bedeutung. «Mit diesem Spruch drücken Palästinenser*innen ihren Wunsch nach einem Staat aus, in dem sie als freie und gleichberechtigte Bürger*innen leben können, ohne andere zu unterdrücken oder unterdrückt zu werden", schreibt der Journalist und Politikwissenschaftler Yousef Munayyer in einer Kolumne für «Jewish Currents».

Elia*, ebenfalls Student und an der Besetzung beteiligt, hat kein Problem mit dem Slogan: «Wer diese Parole problematisch findet, gibt zu, dass Israel in erster Linie die Unterdrückung von Palästina bedeutet. Die Freiheit eines Volks als Angriff zu sehen, ist ein Angriff auf die Menschenrechte.»

Die ETH spricht nicht mit Besetzer*innen

Knapp zwei Stunden war der Eingang der ETH gesperrt, bis auch die letzten Demonstrierenden von der Polizei hinausgetragen wurden. Laut dem «Tages-Anzeiger» hat die ETH einen Antrag auf Hausfriedensbruch gestellt. Elia sagt: «Die ETH hat den Dialog mit uns komplett verweigert. An anderen Unis, auch in der Schweiz, lief es ganz anders ab. Die Strategie der ETH war es, sofort zu räumen.» Die Universität Lausanne beispielsweise ist seit letztem Donnerstag besetzt. Nach einigen Tagen Bedenkzeit forderte das Rektorat die Aktivist*innen auf, das Gebäude freizugeben. Die Frist dafür lief bis Montagabend und verstrich ohne ein Ende der Besetzung.

Zur Anzeige wegen Hausfriedensbruch wollte sich die Medienstelle der ETH gegenüber der ZS nicht äussern. Sie sehe sich aber «als Ort, wo unterschiedliche Meinungen und Perspektiven offen geäussert werden dürfen und sollen». Unbewilligte Aktionen oder politischer Aktivismus in den Räumen der ETH würden jedoch nicht akzeptiert, daher sei die Besetzung auf Antrag der Hochschule geräumt worden. Von weiterer Auskunft würde zu diesem Zeitpunkt abgesehen. Die Demonstrierenden in Zürich kündigten aber weiteren Aktivismus an und verabschiedeten sich mit dem lautstarken Ruf: «Wir kommen wieder!»

*Namen von der Reaktion geändert